Donnerstag, 1. April 2021

Nr. 29 vom 1.4.1971 oder Wer hat meine Rosen so zerstört

 

My Sweet Dauerlord: das ist natürlich schon etwas frustrierend, wie es da oben festgenagelt scheint. Hier erst einmal die Top 20 auf youtube. 

Locker die Hälfte der Stücke kenne ich aus Alt-Erinnerung, also von 1971. Etwa  Stücke wie "Rose Garden", die ich wirklich nur nebenbei gehört haben kann und später gewiß weggeklickt. Es ist ja so, dass bei vielen sehr dauerpopulären Stücken, wie etwa My Sweet Lord, die Erinnerung verseucht wird durch nachmaliges häufiges Auftauchen in den Jahrzehnten. Andere Lieder sind nicht immergrün, sondern fest mit einer bestimmten Zeit verbunden. So geht es mir auch mit What Is Life von George Harrison, das in dieser Woche in die Charts kommt, und eben auch mit Rose Garden, das fest an die Anfangsiebziger getackert ist. Und deshalb eignen sich die etwas unauffälligen Hits besser, um eine bestimmte Zeit in der Erinnerung zu möblieren als die Superhits. Frappierend finde ich, wie viele Lieder einer Top 20 von 1971 man kennt, entweder aus dem Jahr selbst oder durch den Kometenschweif, den sie durch nachfolgende Jahre gezogen haben. Ich zähle 15 Stück, das sind drei Viertel, die ich als Fünfjähriger irgendwie eingesogen habe. Ohne Spotify. Es ist schon verblüffend: obwohl die Verteilmöglichkeiten der Musik vor 50 Jahren viel, viel geringer als heute waren, haben sich die Lieder stärker im kollektiven Gedächtnis abgesetzt. 
Wir hatten es ja schon in der letzten Ausgabe stark mit den Rosen, aber jetzt gibt es ein Roseninferno. Auf Platz 8 finden wir nämlich Randolph Rose, mit der Coverversion Silvermoon Baby. Sagen wir es mal so: Randolphs Singtalent wird klar von seiner Begeisterungsfähigkeit übertroffen. Eigentlich ist es ja ein Countrysong, aber Randolph zwingt es in Richtung Strandtanzlied. Aus der ZDF Hitparade haben sich zwei weitere Proben von Randolph Roses Gesang erhalten. Dazu muß man wissen, dass in der ZDF Hitparade immer Halb-Playback war, also die Sänger buchstäblich ihre Stimmkarten auf den Tisch legen mußten. So auch Randolph hier in einer Ausgabe von 1971 und in einer Ausgabe von 1972. 
Das ist alles recht schlimm. Randolph Rose singt sich in späteren Zeiten weitgehend erfolglos und tapfer durch die Jahrzehnte. Wenn man jetzt denkt: hm, Schlager und Rose, da war doch noch jemand - genau, das war Marianne Rosenberg. Das könnte man jetzt für einen Zufall halten, aber Randolph Rose ist tatsächlich der Cousin von Marianne Rosenberg. Donnerwetter! Das wußtet ihr jetzt nicht!
Allerdings verplätscherte sein Erfolg im Gegensatz zu seiner Cousine sehr rasch. Wahrscheinlich mußte man ihn später bei den Möbelhauseröffnungen ankündigen mit: "Und hier ist er, bekannt aus der ZDF-Hitparade, acht Wochen in den deutschen Charts,  - Randolph Rose", wohingegen bei anderen ein "Und hier ist er - Bata Illic" locker hinreichte. Das ist ja auch bei den Besetzungen im Dschungelcamp so, dass sie sorgfältig kuratiert und moderiert werden müssen, damit das Publikum auch verstehen kann, wer vierzehn Tage lang Würmer essen wird. Achtelfinale beim Bachelor, damit bist du halt noch ein Stück weit von Elvis Presley, James Dean und allgemeingültiger Bekanntheit weg.
Zurück zu Randolph Rosenmann! Im Jahr 2020 passiert etwas Merkwürdiges. Ein Gebäudereiniger aus Ostdeutschland stellt sich bei DSDS vor, und zwar mit "100 Jahre sind noch zu kurz", einem Mini-Hit aus dem Spätwerk Randolph Roses. Dieser junge Mann mit dem entlegenen Geschmack kommt nicht nur weiter, sondern gewinnt die Staffel, und singt sein Startlied nochmal als Siegerlied. Und er heißt, es ist kaum zu fassen: Ramon Roselly. Leute! Ich hab das nicht erfunden!
Durch Ramon Roselly wird wiederum Randolph Rose an die Oberfläche des öffentlichen Bewußtseins gespült. Wenn die Flut kommt, steigen alle Boote und Rosen! Daraufhin hat Randolph den 100-Jahre-Schlager noch einmal eingespielt. Meine Güte, was hätte man für einen heißen Scheiß machen können. Eigentlich hätten sie alles, alles machen können, nur nicht das, was sie in diesem Urlaubsvideo gemacht haben, ich weiß nicht, wo das gedreht ist und ich fürchte, es auch nicht wissen zu wollen. Die neue Produktion tut dem ohnehin etwas dünnem Liedchen überhaupt nicht gut (Konservenschlagzeug, Larifarihintergrunddudel etc.). Wer hat dein Lied so zerstört, Randolph!

Übrigens, kurz bevor Randolph Rose seinen Erfolg mit Silvermoon Baby einfuhr, hatte er einen Gastauftritt in einer ZDF-Jugendserie. Nein, nichts mit Rosen. Die Serie heißt "Tommy Tulpe"
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Auf Platz Nr. 19 Daliah Lavi mit Wer hat mein Lied so zerstört, Ma, das Miriam Frances übersetzte, die wir ja schon kennen gelernt hatten. Das Original ist von Melanie, die wir ja erst in der letzten Ausgabe mit Ruby Tuesday in den Goldenen 20 hatten. Was für eine interessante Stimme! Eigentlich hat sie mir ein bißchen zu viel Tremolo. Ich mag eher die mineralwasserklaren Soprane; vielleicht werden wir uns irgendwann einmal bis Abba vorarbeiten: Agnetha Fältskog, das ist für mich der perfekte lyrische Sopran

Melanie, schaut mal hier, ist sogar etwas rauh unterlegt, aber mit einer eigentlich süßeren Stimmlage (erinnert an Susanna Hoffs von den Bangles). Melanie Safka, wie sie eigentlich heißt, wurde berühmt, als sie für die anstellerischen Incredible String Band im Regen von Woodstock einsprang und das ganz fabelhaft machte. Sie landete dann auch auf der Woodstock2-Platte. Jedenfalls eine schönere Stimmlage als ihre Woodstock-Mitsängerin Joan Baez, mit deren Gesang man die Terrasse kärchern kann. Hier Melanie in Woodstock.


Ja, wer war es denn nun? (Quelle: discogs, Polydor)

Hier noch einmal eine wirklich verblüffende Aufnahme des Lieds mit Miley Cyrus (!) 

Ich will gar nicht mal sagen, dass es Miley Cyrus schlecht macht, aber Melanie Safkas Ausstrahlung und Stimme, das ist schon doller als das Chlorhühnchen. Aber eigentlich sind wir ja bei Daliah Lavi, bei dem das Lied vom Melanie-Sirenensopran auf Mezzosopran heruntertransponiert wird (oder ist das gar Alt?), was dem Lied aber gar nicht so gut tut, finde ich. Wer hat mein Lied...ach, ich bin schon still. 


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Rakete der Woche: George Harrison von 0 auf 10 mit What Is Life

Liebling der Woche: Another Day von Paul McCartney