Donnerstag, 15. April 2021

Nr. 30 vom 15.4.1971 oder Spiel mir das Lied vom Tod nach

 


Und hier der Link zu der aktuellen Hitparade. 

Oh, jetzt ist es passiert, was für ein peinliches, schreckliches Elend: Creedence Clearwater Revival sind mit Hey Tonight auf dem Platz an der Sonne. Wie scheußlich, wie schrecklich! Ach, wären es Schneeflöckchen im Februar, oder Tom Jones oder auch unser Freund Randolph mit Silver Moon Babiiiiiiie, aber Covid Clearwater Revival ist eine echte Strafe, aber echt. Als sachter Trost sei vermerkt, dass CCR uns zukünftig nicht mehr viel behelligen werden. Gerade sitzen sie noch auf den weichen Sofa und denken, sie sind Könige der Welt. Seine Mitstreiter (darunter sein Bruder) hatten aber bald genug vom unsympathischen John Fogerty und so trennten sie sich im darauffolgenden Jahr. CCR hatte in den USA insgesamt 9 Top 10-Hits, John Fogerty anschließend noch einen einzigen.

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Spiel mir das Lied vom Tod! Habe ich eigentlich schon einmal erzählt, dass ich praktisch der weltgrößte Fan von Ennio Morricone bin? Ich habe ca. 50 Soundtracks zusammengesammelt. Wie viele es insgesamt gibt? Man schätzt, der Meister hat ungefähr 500 Filmmusiken hergestellt; auf Platte/CD etc. sind ungefähr die Hälfte erschienen. Da war Joseph Haydn mit 107 Symphonien ein rechter Faulpelz dagegen! Man hört Morricone-Melodien sehr schnell heraus. Once Upon A Time In The West aka Spiel mir das Lied vom Tod gehört eindeutig zu den besseren und besten Werken von Morricone,. Es ist einfach die perfekte Symbiose und Stimmung der Endsechziger, es ist musikalisch anspruchsvoll und benutzt sogar nahezu wagnerische Leitmotivtechnik. Lustig: für das deutsche Cover der Single und der LP wurde eine sehr eindrucksvolle Nachmalerei der zweitberühmtesten Szene des Films verwendet. Wenn ihr euch entsinnt: es ist das Finale der langen Anfangsszene am Bahnhof, und gerade in dieser Viertelstunde aber wurde absichtlich auf jegliche Filmmusik verzichtet (wenn ihr jetzt gerade an ein quietschendes Windrad, an eine Fliege, an Wassertropfen denkt: ja, genau).

Peng! Peng! Peng! (Quelle: discogs, ariola)

Es ist etwas vertrackt mit deutschen Übersetzungen: "Spiel mir das Lied vom Tod" ist eine gar nicht mal so üble deutsche Nacherfindung. Die Single "Spiel mir das Lied vom Tod" ist eigentlich das Jill-Thema (Claudia Cardinale, das Lied heißt verwirrenderweise auch noch C'era Una Volta Il West) und das überberühmte "Das Lied vom Tod" ist das Harmonica-Thema (Charles Bronson). Auf der Single (s. Abbildungen) war man sich auch nicht so recht klar, was denn nun die A-Seite und was die B-Seite ist. Das Jill-Thema ist typischer Morricone, einer hymnischen ins Nimmerland hinsteigenden Melodie und einer schmelzenden Vocalise-Frauenstimme, toll.

Oben Spiel mir, unten das Lied vom Tod (Quelle: discogs, ariola)


Dann aber das Harmonica-Thema aka Das Lied vom Tod.  Hört euch nur einmal an, wie gut das ist. Die quere, schräge, verhallte Mundharmonika in der ersten halben Minute. Dann schleichen langsam die Holzbläser und Celli in einem nervösen Drei-Ton-Ostinato dazu (0:25), und dann ab 1:05 kracht die E-Gitarre hinein, die Streicher immer drängender, immer weiter auftürmend, und ab 2:00 Auflösung, Chor, Hymne.

So. Es ist ja nicht so, dass hier in der Goldenen 20 die Sachen einfach so hingeschlunzt werden. Mir fehlte im vorherigen Absatz das Wort für Ostinato, und so whatsappte ich Marek mit einem Link zum Lied vom Tod und der Bitte um Aufklärung. Marek ist der einzige Mensch, den ich kenne, der einen Flügel im Wohnzimmer stehen hat. Einen Flügel, wohlgemerkt, nicht ein Klavier, nicht eine Stereoanlage oder eine Couchgarnitur. Einen echten verdammten Flügel zum Klavierspielen. Er textete eine Viertelstunde später zurück:

"Oh hochinteressant, sich das anzuhören. In der Klassik heißt das Ostinato. Die Figur ist C - Dis - E, C - Dis - E  und übernimmt die Töne der Harmonika vom Anfang. Von den Intervallen erst mal ausgehend vom C kleine Terz, große Terz, dann wieder C. Leicht tricky ist, dass das die Tonart bestimmende A erst verspätet eingeführt wird (Sekunde 33), dann geht es im Bass G - F - E, Figur ändert sich auch leicht also G H Dis E, F - A Dis E, bis mit E Gis Dis E die Dominante von a-moll erreicht ist und so erst im klassischen Sinne die Tonart etabliert ist. Akkorde also a-moll, G-Dur mit Sexte, F mit größter Septime und dann der E-Dur Dominant Akkord mit Rückführung zu dem a-moll Akkord samt verminderter Quinte. In dem Moment, in dem das A im Bass auftaucht, sind die Ostinatotöne als kleine Terz, verminderte Quinte (=Tritonus) und reine Quinte definiert.

Höre dir mal den Anfang von Für Elise an, beginnt mit den gleichen markanten Tönen (Dis-E) am Anfang oben, das definierende A im Bass taucht dann allerdings schneller auf, eigentlich komplett identisch, aber wirkt nicht ganz fatal, da die Spannung schneller gelöst wird und es harmonisch etwas konventioneller weitergeht. So weit auf die Schnelle."

Er klebte noch folgenden Link dazu!

Das ist natürlich alles hochinteressant. Und wenn man es weiß, dann hört man auch, dass Ennio, der kleine Halunke, das Lied vom Tod von Elise geklaut hat! Wahrscheinlich hatte Beethoven das Blatt in der Betriebskantine vergessen, am Currywursttag, und Morricone hat es gefunden und gedacht, super, jetzt noch Mundharmonika dazu, dann hab ich endlich das Lied vom Tod! 

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Es dürfte Anfang der Siebziger gewesen sein, als mir mein älterer Vetter Reinhard über den Film erzählte. Mir ist nicht ganz klar, ob er Spiel mir das Lied vom Tod damals tatsächlich im Vorortkino gesehen hatte, oder ob auch er die Geschichte von jemandem weitererzählt bekommen hatte, der den Film auch nur möglicherweise gesehen hatte. Wahrscheinlich bestehen die Geschichten der Menschheit aus lauter Erzählungen, die man von seinem Cousin bunter und wilder als die vorher erzählte Version mitbekommen hat. Wahrscheinlich war die Sintflut auch nur ein kleiner Wasserrohrbruch, und der Wohnzimmerteppich ist dabei halb nass und fast ruiniert worden. 

Wie auch immer: mein Vetter Reinhard erzählte die erstberühmteste Szene des Films: der Vater (ein beliebter Irrtum: es ist eigentlich der Bruder) steht auf den Schultern des kleinen Jungen, das Seil um den Hals geschlungen, unter einem Galgen in sengender Sonne. Und wie Henry Fonda dem kleinen Jungen eine Mundharmonika zwischen die Lippen drückt und sagt: "Spiel mir das Lied vom Tod", und dann reiten die Bösen einfach weg und lassen die beiden zurück.

"Und was ist dann passiert?"

"Der kleine Junge will ja nicht, dass sein Vater stirbt. Deshalb bleibt er stundenlang stehen."

"Und dann? Und dann?"

"Ja, dann fällt der Junge irgendwann vor Schwäche um und der Vater baumelt am Strick und stirbt."

Boah. Ich habe den Film erst sehr viel später gesehen, und natürlich konnte die Filmszene niemals mit der Dramatik der in meiner Vorstellung tausendmal ausgemalten Szene mithalten. Der Vater, auf den Schultern des kleinen Jungen, die Mundharmonika, das Lied, die Sonne, die Hitze, das Lied vom Tod.

Ich stellte die Szene mit Timpo-Cowboys nach, aber die waren zu klein. Big Jim war eigentlich zu groß, und es fehlte mir die zweite Person, weil ich Big Jeff nie bekommen hatte. Und Big Jeff wäre auch genau so groß wie Big Jim, und das wäre ja unlogisch, wenn er der Vater war. Schließlich mußte dann der Stoffhund Bello aushelfen. Es dürfte das jämmerlichste Re-Enactement von Spiel mir das Lied vom Tod nach aller Zeiten gewesen sein, zumal auch ein Bein von Big Jim abgebrochen war. Etwas Rouladengarn als Galgenstrick, ein einbeiniger Big Jim und ein Stoffhund - so ging Sergio Leone in meinem Kinderzimmer. Ob ich später Apocalypse Now mit einem Toaster, einem Stutenkerl und zwei Packungen Caprisonne nachgespielt habe? Fragt nicht!

 

Dauerbrenner der Woche: immer noch Chris Roberts mit 18 Wochen

Rakete der Woche: tatsächlich Das Lied vom Tod von 0 auf 14

Liebling der Woche: welche Frage! Ennio Morricone!