So, und hier sind wie immer die Goldenen 20 auf youtube!
Noch immer
halten Simon & Garfunkel drei Plätze in unseren Top 20, darunter auch die
Nummer 1 mit dem unsäglichen El Condor Pasa. Aber von hinten kommt ein
klassischer Supersommerhit angeschossen: In The Summertime von Mungo Jerry. Wir
sind gespannt, wie es nächste Woche aussehen wird!
Auf Platz 8 –
er wird noch deutlich steigen, ist eine sehr skurrile Angelegenheiten: Song Of
Joy von Miguel Rios. Eines der urdeutschesten aller Lieder kommt sozusagen über
Bande wieder zu uns zurück. Interessanterweise war es auch in Österreich und in
der Schweiz die Nr. 1, während es in USA und UK nur so ein mittlerer Hit war.
Allerdings wurden sieben Millionen Stück verkauft. Ich habe es mir jetzt noch
einmal angehört – und ach, eigentlich macht es der Miguel doch gar nicht so
schlecht! Leider ist sein Auftritt mit diesem Lied im Film „Das haut den
stärksten Zwilling um“ (Peter Weck, Ilja Richter, Peggy March und alle anderen)
nicht vorhanden, aber es gibt eine hübsche spanische Version, da heißt es dann Himno
a la alegria. Dazu hier ein schöner Clip.
So ein bißchen
ist Miguel Rios zwischen Joe Cocker und Freddy Quinn (Cocker von der Inbrunst,
Quinn vom Gesicht). Und – so etwas macht mich ja wahnsinnig, sein Mikrofonkabel
bleibt bei 4:07 am Jackenknopf hängen, ganz am Ende, und dann steht Rios da,
beethovenergriffen, schillersüchtig, mit einem Kabel, das da vor seiner Jacke
hängt. Ich mache mal einen Knoten in mein Mikrofonkabel, denn darüber werden
wir noch einmal ausführlich reden müssen, über das Mikrofonkabel und was es für
die Musik bedeutete in den Siebzigern.
Aber blicken
wir zunächst einmal auf den Miguel, und was Miguel so singt. Schillers Original
lautet bekanntlich:
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.
Miguel macht
daraus:
Come sing a song of joy
for peace shall come, my brother
Sing, sing a song of joy for men
shall love each other.
That day will dawn just as sure
as hearts that are pure,
Are hearts set free.
No man must stand alone
With outstretched hand before him.
Ok, das ist schon ziemlich freimütig übersetzt. Erstmal dachten sie natürlich, what-the-fuck is elysium? und machten daraus „peace“, denn Frieden geht ja immer. Desweiteren verläßt der Text das Original weitläuft. Wo sind denn eigentlich die Zauber? Und die Mode, die alles streng getheilt hat (immer schon meine Lieblingszeile!)? Nein, das ist schon ein bißchen Laberrhabarber.
Verantwortlich für den
englischen Text ist übrigens ein gewisser Ross Parker, der einige große Hits zu
Beginn des Zweiten Weltkriegs hatte: er schuf mit "We'll
Meet Again" "There'll Always Be an England", "I'm In Love
For The Last Time" einige berühmte Trost- und Durchhaltelieder.
Song of joy (Quelle: discogs/Polydor) |
Es geht auch schlimm weiter: “Reach out and take them in yours with love that endures forevermore, then sing a song of joy for love and understanding” Jaja, ist ja schon gut, wogegen Schiller ganz klar fomuliert hat: „Ja, wer auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund, und wer’s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund!“ Ich übersetze das mal ins heutige Deutsch: „Keine Follower, keine Likes, also hau ab!“ und das ist schon etwas ganz anderes als Arme ausstrecken und Liebe forevermore, mein lieber Herr Ross Parker!
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Aber jetzt hier mal ein kleiner Schnitt. Wenn jetzt jemand
einmal auf das Original neugierig geworden ist: welche Einspielung ist zu
empfehlen? Ich fürchte, es gibt keine Symphonie, die so oft und so oft schlecht
aufgenommen wurde wie Beethovens Neunte. Und – wie oft in der Klassik – hört man
oft das Aufnahmejahrzehnt sehr stark durch. So sind fast alle Aufnahmen aus den
Siebzigern und Achtzigern (gerade bei Karajan!) viel zu staatstragend und stereoanlagenschrank.
Song of noch mehr joy (Quelle: discogs, Deutsche Grammophon) |
Deutlich älter, viel schlanker und die wohl beste verfügbare
Aufnahme sind die Berliner Philharmoniker mit Ferenc Fricsay. Die Aufnahme stammt von kurz vor Weihnachten 1957 und das
schöne an ihr ist nicht nur ihre Dynamik, sondern das Geschehen ist schier
hysterisch, atemlos, geprügelt und getrieben. Was für eine Achterbahn! Eine
feine Ironie, dass das gerade ein Ferenc Fricsay, der sich als jüdischer Musiker
während des Krieges in Budapest verstecken mußte, so unglaublich gut
hinbekommt, ausgerechnet mit den Berliner Philharmonikern in der
Hedwigs-Kathedrale am ehemaligen Opernplatz. Über Miguel Rios brauchen wir hier
nicht zu reden. „Wir betreten feuertrunken“ heißt es im Originaltext und nicht „shall
love each other“. Sehr großes Kungfu!
Song of überhaupt kein joy: Furtwängler in der Philharmonie, mit einigen prominenten Zuschauern (Quelle: NZZ, imago) |
Aber. Es gibt noch eine andere Aufnahme. Berlin, 19.4.1942, Philharmonie Berlin, Vorabend
des Führergeburtstages. Goebbels hält eine Rede. Hitler ist anwesend. Dann gibt
es Beethovens Neunte mit den Berliner Philharmonikern und Furtwängler. Die
Aufnahme hat eine grauenhaft schlechte Tonqualität, es hat damals ein privater
Amateur auf sieben Decelith-Platten aus dem Rundfunk aufgenommen.
Die ersten drei
Sätze sind toll, und jetzt kommt die Ode an die Freude. Bei ungefähr 1:00:44
fangen sie dann auszurasten, unglaublich. Wahnsinnig schnell, laut und
herausgebrüllt, aber an der Rosenspur-Stelle beginnen sie plötzlich zu tanzen. Joachim
Kaiser sagte einmal – es sei gewiß geschmacklos, aber besser seien Furtwängler
und die Berliner nun einmal nie gewesen als in diesen Jahren, als es auf Leben
oder Tod ging. Es gibt eine Aufnahme von Bruckners 9. (sic!) von 1944, und zwar
der langsame letzte Satz ist so unglaublich traurig, in der Gewißheit, alles
verloren zu haben, alles ist zuende, und man hat das alles selbst gemacht und
verursacht. Davon ist man hier – 8 Monate vor Stalingrad - noch weit entfernt. Wie
sehr lassen sie es rocken zu 1:05:15, als sie die Freudestrophe
wiederaufnehmen! Dann aber: Überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen ist
so bescheiden, so demütig, aber dann 1:10:49 DER GANZEN WELT DER GANZEN WELT. Und
im Gegensatz zu Fricsay, der die letzten Minuten versöhnlich ausrollen läßt –
schließlich werden ja alle Menschen Brüder – hält Furtwängler die Spannung und
den Wahnsinn bis zum Ende hin aufrecht. Die Aufnahme läßt einem ratlos zurück.
Aber weiter war man vom „Song of Joy“ nie entfernt, niemals.
Ausschnitt aus meiner Jugend, damn life (eigenes Foto) |
Das heißt, eine völlig kaputte Version hat dann 1982 John Cale gemacht, zu einem leiernden Klavier stottert der Ex-Velvet Underground einen
völlig anderen Text herunter it's a pity, damn life. Tatsächlich habe ich als später
Teenager (ich war 17) die Platte sofort nach Erscheinen gekauft und fand diese
Version großartig. Damn Life, klar. Als (später) Teenager fährt man ja am
besten damit, erst mal alles schrecklich zu finden. You're just not worth it, you're
just not worth the pain singt Cale, und das selbst heute noch sehr
eindrücklich. Damals hielt ich es für eine uneinholbare Wahrheit. In gewisser Weise ist Cale damit der Antipode
zu Miguel Rios. 1970 war alles Song of Joy, 1982 war alles Damn life.
Wer recht behalten hat, war – Beethoven.
Rakete der Woche: A Song Of Joy von Miguel Rios
Veteran der Woche: Bridge Over Troubled Water mit 9 Wochen - werden sie die 10 schaffen?
Liebling der Woche: Kitsch vom tollen Barry Ryan