Freitag, 28. Februar 2020

Nr. 5 vom 1.3.1970 oder Ganz viel Liebe




Sen-sa-tio-nell! Dein schönstes Geschenk ist NICHT mehr Nummer 1, sondern wurde sogar auf Platz Nr. 4 heruntergedemütigt. Dein schönstes Geschenk – die Annette Kramp-Karrenbauer der Charts vom 1.3.1970! Hier erstmal die youtube-Playlist:

Die neue Nummer 1 ist Whole Lotta Love, ein sensationeller Kracher. Led Zeppelin. Deren LPs heißen I, II, III, aber die Vierte heißt gar nicht und wird deshalb gerne IV genannt. Whole Lotta Love ist das Eröffnungslied der II und hat vielleicht eine der besten ersten Minuten aller Zeiten. Was für ein Riff! Was für ein Gesang! Led Zeppelin hatte allerdings damals überhaupt keine Lust auf Singles. Ähnlich wie Gustav Mahler strebten sie ausschließlich nach der langen Form und bauten einen bizarren, untanzbaren, unmelodiösen Mittelteil ein, der inklusive Gitarrensolo glatte 2 Minuten dauert (also nach Single-Hit-Begriffen eine Ewigkeit). Dann ab Minute 4:00 ein spektakuläres Gesang-Schlagzeug-Gitarrenriff-Finale, das uns heute, 50 Jahre später, noch genau so knallt wie 1970. GROSSARTIG! Die Single dauert durch die ganzen Umständlichkeiten epische 5 Minuten 30, aber das war ja Led Zeppelin egal, bei denen sowieso alles Gold wurde, was sie anfassten. Ja, liebe Jugend, stellt euch Led Zeppelin so ähnlich vor wie Capital Bra, nur eben als Gruppe, und nicht aus Sibirien, sondern aus Berkshire.

Es ist fast häretisch, dass die nichtswürdigen Creedence Clearwater Revival auf Nummer 2 folgen. Ich wollte ohnehin schon einmal erwähnen, dass ich natürlich diesen Blog in größtmöglicher Neutralität und Ausgewogenheit betreibe und mich lieber einem Urteil enthalte, als dass ich zu jemanden ungerecht wäre. Creedence Clearwater Revival konnten nichts, und allerwenigsten komponieren, singen, aufführen. Es hat gereicht für 9 Top 10-Hits, einer überflüssiger als der andere. Zum Glück sind sie mittlerweile komplett vergessen.

Wir haben in dieser Woche eine ziemlich aufgewühlte Hitparade mit gleich fünf Neuzugängen. Darunter ist auch die Band Tee-Set, die sich heutzutage, in Google-Zeiten, auch nicht mehr so nennen würde (das wäre so, als würde man sich „Günstiger Kredit“ nennen oder „iphone billiger“). Wenn man das Tee-Set dann endlich gefunden hat, erfährt man, dass sie eine Nederpop-Band sind. Sie sind geradezu ein idealtypisches One Hit Wonder. Ma Belle Amie (sehr schönes Video mit viel Amsterdam, Grachten, Brücken. Die Jungs haben superscharfe Klamotten an und fahren am Ende in einem Ford Mustang davon, toll!) war nicht nur in Europa, sondern auch in USA ein respektabler Hit und verkaufte sich mehr als 1 Million mal. Der Bandleader Peter Tetteroo (T-Set!) starb 2002, aber das Internet ist sich nicht ganz schlüssig, ob es das Tee-Set heute denoch oder gerade deshalb noch gibt. Das wird uns noch öfter beschäftigen: Bands, die sich nicht offiziell und ordentlich wie die Beatles getrennt haben, aber andererseits auch nicht existent sind. Ihr kennt ja alle Schrödingers Katze. Wir wollen diese Bands Schrödingerbands nennen, und Tee-Set ist eine Schrödingerband, weder lebendig noch tot, oder beides. Sie hat übrigens weder eine Homepage/Insta/Facebook-Seite, was in heutigen Zeiten für ihre Inexistenz spricht. Hier noch ein Bandfoto von 1968, dem Jahr vor Ma belle Amie. Eigentlich sehen sie auch alle gleich aus. Alle. Schrödinger-Zwillinge!


Die Schrödinger-Fünflinge von Tee-Set (Quelle: wikipedia)


Und in dieser Woche ist natürlich klar, wer Liebling der Woche ist! Ganz viel Liebe! Ich hoffe auch, dass Mendocino sich noch ein bißchen hält, denn ich habe noch gar nicht über Mendocino gesprochen. Und warum das Mädchen auf der Straße nach San Fernando steht und dennoch nach Mendocino will! Das wird nachgeholt, versprochen!

Rakete der Woche: Whole Lotta Love VON NULL AUF EINS
Veteran der Woche: Mendocino (15 Wochen)

Liebling der Woche: Whole Lotta Love, klar 

Freitag, 14. Februar 2020

Nr. 4 vom 15.2.1970 oder Grüßen Sie Frau Stirnima






Wie jetzt in jeder Ausgabe: hier erst einmal die Youtube-Version der Charts.

Wir haben gleich sechs Neuzugänge in unseren Charts! Ihr solltet euch auch nicht zu sehr an Liedern gewöhnen und festhalten. Der Status einer Top 20-Single ist vergänglich, auch wenn Roy Black seit vier Wochen festgenagelt auf Platz 1 steht. Jetzt habe ich doch noch einmal das Video angeschaut. Der dazugehörige Film heißt Unser Doktor ist der Beste. Roy Black kommt als neuer Oberarzt in eine Privatklinik, wird erst für den Heizungsinstallateur gehalten, streitet mit Oberschwester Hildegard, verliebt sich in Schwester Loni, kämpft um das Bestehen der Kinderstation, und… ach, ihr könnt es euch ja denken, und genau so passiert es auch.

Interessant, dass es 15 Jahre vor der Schwarzwaldklinik auch hier eine Oberschwester Hildegard auftritt. Während die Schwarzwaldklinik-Hildegard Eva-Maria Bauer aber schon tot ist, erfreut sich die Roy-Black-Hildegard, die Schauspielerin Corinna Genest, noch hoffentlich bester Gesundheit. Ihr Vater ist Rudolf Diels, der erste Chef der Gestapo, der nach ihrer Geburt neu heiratete, und zwar Ilse Göring, welche – und das ist wirklich etwas verwirrend, sowohl die Enkelin als auch die Schwiegertochter von Hermann Görings Vater war.

Wir werden da noch öfter darauf stoßen: im Jahr 1970 ist das Jahr 0 gerade einmal 25 Jahre vergangen, und insofern haben viele Protagonisten auch eine interpretationsfähige Vergangenheit bzw. interessante Familie. Corinna Genest selbst jedenfalls ist Jg. 1938. Ebenfalls zu den Ach-die-ist-das-Schauspielern, deren Namen man nicht kennt, aber dafür ihr Gesicht, zählt die weibliche Heldin Loni, welche von Helga Anders gespielt wurde. Und Helga Anders gehörte gar nicht mal viel später zu den mutigen Frauen auf dem legendären STERN-Titel Wir haben abgetrieben vom 6.6.1971. Schlager, Göring, §218,  alles hier auf engstem Raum miteinander verstaut.
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Neuzugang auf Platz 4: Gruezi wohl Frau Stirnimaa. Durch den Beruf meines Vaters kam ich als Kind kostenlos an abgenudelte Singles aus den Musikboxen in Gaststätten und Tanzlokalen. Dazu hatte mir mein Vater einen steinalten Elac Mirastar Kofferplattenspieler besorgt. Auf diesem Plattenspieler hörte ich dann die Singles, die ich mir nicht ausgesucht hatte, sondern die Zufälle der Playlists städtischer Gasthäuser in meinen Besitz gespült hatten. Und dazu zählte auch Frau Stirnimaa. Ich hielt es für ein Volkslied, und deshalb dürfte ich damals immerhin gewußt haben, was ein Volkslied ist. Immerhin war mir auch klar, dass dieses Volkslied nicht aus unserer Gegend war, sondern irgendwo aus Bayern, wo die Menschen genau so jodelten wie bei Frau Stirnima. Was natürlich nicht stimmt, denn die Minstrels kommen aus Zürich. Frau Stirnima war ihr einziger Hit, von dem sie sich immerhin ein 16-Zimmer-Haus kauften. 1974 lösten sie sich auf.

Frau Stirnimaa (Quelle: discogs)


Tatsächlich ist dieses Lied ebenfalls in einem Film verarbeitet worden: Was ist denn bloß Willi los? mit Heinz Eckhardt. Die Titelsequenz mit Stirnimalied, mit Felix (Ralf Wolter), Willi (Heinz Erhard) und Frau Stirnima (Helen Vita!) ist online verfügbar. 

Die beide radeln dabei durch den nördlichen Stadtteil Grunewald, um dann recht unvermittelt am Telefunken-Hochhaus herauszukommen, das seine Rolle als „Finanzamt-West“ aufrecht und souverän spielt. Das Gebäude kam später zur benachbarten Technischen Universität und ist genau 300m Luftlinie von hier entfernt. Ich schreibe auf geweihtem Boden.

Rakete der Woche: Frau Stirnimaa ( plus 13 Plätze)
Veteran der Woche: Mendocino (14 Wochen)
Liebling der Woche: In der Carnaby Street

Samstag, 1. Februar 2020

Nr. 3 vom 1.2.1970 oder Der Fluch des Roy Black


So, jetzt nehm ich euch mit nach Mendocino. Ab heute gibt es eine wichtige Innovation im Blog, nämlich eine Youtube-Playlist mit ALLEN Hits dieser Woche! Ist das nicht super? 



So, die dritte Goldene 20, und zum drittenmal Roy Black auf der Nummer 1! Roy wird uns noch ungefähr ein Jahr begleiten, und dann von einem auf den anderen Tag auf lange Zeit verschwinden. Deinschönstes Geschenk ist seine zweiterfolgreichste Single nach Ganz in Weiß von 1965 und vor Schön ist es auf der Welt zu sein, über das wir noch beizeiten sprechen müssen.

Roy Black heißt eigentlich Gerhard Höllerich, und Gerhard fand, dass sein Name doch etwas zu wenig Rock And Rollerich hatte. Wohl zu Recht. Er entschied sich dann für „Roy Black“. Ich finde allerdings, „Gerd Hölle“ wäre die bessere Wahl gewesen. Aber auch Roy Black wäre keine schlechte Wahl, wenn man die Roy-Black-Haftigkeit seines Namens außen vor läßt, welche allerdings erst wir Nachgeborenen assoziierten, da wir Roy-Black-Haftes ja nur von Roy Black kennen. 1963 hingegen war „Roy Black“ ziemlich crispy, wild und gefährlich. Ich weiß, es ist wirklich schwer, das zusammenbringen. Wir sind pavlovsche Hunde, die bei „Roy Black“ nur ganz in weiß sabbern können. Den Pfad eines gefährlich wirkenden Roy Black verließ er allerdings dann schon im Jahr 1965. Und dann kam Anfang 1966 Ganz in Weiß, ein transgalaktischer Superhit, mit dem er 14 Wochen in den Charts paradierte. Und weitere Hits. Bis Ende 1969 war Roy Black praktisch unbesiegbar. Dein schönstes Geschenk ist sozusagen auch ein Erbe aus dem Vorjahr, denn 1970 wurde für Roy Black ein echtes Scheißjahr.

Erst Ende des Jahres wird er sich davon wieder erholen zu einem kurzen Zwischenhoch, und dann ist es erstmal sehr lange vorbei. Roy Black ist sozusagen ein Schlagersänger, der zur allerbesten Schlagerzeit in der ersten Hälfte der Siebziger nicht erfolgreich ist. Roy Black ist oldschool, altbacken, und es ist wohl auch einigermaßen schädlich, einen ganzen Haufen spektakulär schlechter Filme gedreht zu haben. Meistens spielen Theo Lingen, Uschi Glas und Ilja Richter mit. Wenn es gut läuft im Kino, dann schadet es nichts, wenn es aber nicht so gut läuft, dann nervt man das Publikum noch zusätzlich. Fragt mal Elvis.

Für Roy Black lief es dann später gar nicht gut. Es ist nachzulesen, dass er pleite genug war, um Taschenpfändungen über sich ergehen lassen zu müssen. Und er trat aus der Kirche aus, um Steuern zu sparen. Um Himmelswillen! Das ist ja sozusagen ein faustischer Pakt! Die Kirche zu verlassen, um wieder ein Star zu sein! Aber es funktionierte: mit Ein Schloß am Wörthersee war er dann plötzlich wieder dick im Geschäft. Im Grunde muß man sich ESaW (wie wir aficionados es nennen) so ähnlich wie das Traumschiff (TS) vorstellen, - nur ist das Traumschiff hier ein Hotel und der Ozean hier der Wörthersee. Ansonsten laufen sowohl bei TS als auch bei ESaW in jeder Folge Prominente vorbei und werden mit lockerer Hand in die Handlung eingewoben. Und sie sind ja nicht zuletzt prominent, weil sie bei TS und ESaW mitspielen, ein sich selbst verstärkendes Huhn-Ei-Phänomen. ESaW lief jedenfalls Bombe, und deshalb war es umso bedauerlicher, dass Roy Black leider schon nach Staffel 2 verstarb.

Aber jetzt mußte der faustische Pakt eingelöst werden.

Offenbar lautete dieser Faustpakt, dass von Roy Black kein Abbild mehr nach seinem Tode hergestellt werden kann. Jedenfalls kein Abbild, auf dem man ihn erkennen könnte. Den Anfang machte eine Stele in seinem Heimatort Augsburg. Sie besteht aus einer pausbäckigen Frisur und dem Versuch eines Kinngrübchens.


Quelle: wikipedia





































Der Faustpakt war wohl wie bei Oscar Wilde angelegt (hey, merkt ihr was: Roy BLACK und Dorian GRAY?!). Auch in Velden am Wörthersee hatte man das Bedürfnis nach einer Roy-Black-Büste. Und es ging noch schlimmer schief. Während man bei der Augsburger Version noch etwas Ähnlichkeit hinein gutmeinen könnte, ist in Velden nun wirklich alles verloren.






Quelle: Mopo/imago/Lindenthaler

Das könnten auch John Lennon, Udo Jürgens, Elvis oder Peggy March sein, um einige weitere Prominente unserer dieswöchigen Hitparade zu nennen. Vor allem: was ist mit dem Kinn? Ich meine, wenn man so ein markantes Grübchen am Kinn hat, dann muß das doch auch im Abbild zu finden sein. Das wäre sonst wie Gorbatschow ohne Flecken oder Heino ohne Brille. Aber ihr könnt es ja auch mal probieren. Nehmt einen Zettel und versucht, Roy Black zu zeichnen! Na? Hat es geklappt? Nein? Voll unähnlich? Jaha, seht ihr, das ist DER FLUCH DES ROY BLACK.
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Unbedingt erwähnt muss auch noch das tolle Oh Well von Fleetwood Mac auf Platz 9. Ich habe hier eine sensationelle Version von den wunderbaren Haim-Schwestern. Wobei „ wunderbare Haim-Schwestern“ und „Fleetwood Mac“ sich jetzt vielleicht völlig falsch anhört. Fleetwood Mac 1970 waren noch eine Rock-Band, und die Haim-Schwestern – sind auch eine Rockband. Und wie großartig und witzig sie das machen! Mädchen können heutzutage alles und das ist auch gut so. Fast würde man wünschen, Roy Black hätte so viel Rock n Roll gehabt wie Danielle Haim im kleinen Finger. Oh Well!

Rakete der Woche: Venus ( plus 7 Plätze)
Blei der Woche: Geh nicht vorbei ( minus 6 Plätze)
Veteran der Woche: Mendocino (13 Wochen)
Liebling der Woche: Oh Well