Freitag, 27. März 2020

Nr. 7 vom 1.4.1970 oder Besiegt die Hongkong-Grippe!


Natürlich ist die Goldene 20 nicht in Quarantäne! Ganz im Gegenteil! Ihr habt ja alle jetzt Zeit, alles Mögliche zu lesen und anzuhören, auch die Goldene 20! Hier ist der Youtube-Link für die Top 20 vom 1.4.1970.



Gleich sechs Neuzugänge in der Goldenen 20. Das liegt wohl am Frühling vor 50 Jahren, dass zunehmend altes Zeug herausgekehrt wurde.

Interessant: auch vor 50 Jahren gab es eine außergewöhnliche Grippewelle, die Hongkong-Grippe. Im SPIEGEL-Artikel wird berichtet, dass man in Augsburg Müllmänner zum Gräberausheben verpflichtete, da es einerseits erhöhten Gräberbedarf gab, andererseits die Totengräber so krank waren, dass man befürchten mußte, sie würden alsbald ihre eigenen Kunden. Und Udo Jürgens hat in Quarantäne 4 Pfund abgenommen (in der Goldenen 20 ist er jetzt auch schon 1 Monat weg vom Fenster). Bemerkenswert, wie lahmarschig das Virus damals war: im Sommer 1968 wurde es in Hongkong isoliert, dann zog es im März nach Südafrika, dann im Mai nach Argentinien, um dann im November endlich bei uns zu laden. Da hat unser Corona aber einen ganz anderen Speed!

Total lahme Hongkong-Grippe 1970. Quelle: SPIEGEL 1/1970

Auf keinen Fall möchte ich hier aber Wolfgang-Wodarg-mäßig herüberkommen, es habe das alles schon immer gegeben. Gegen Hongkong konnte man sich damals problemlos impfen lassen. Was aber nicht so viele gemacht haben, weshalb dann ca. 40.000 gestorben sind, was man aber auch erst im nachhinein ausgerechnet hat und auch keinen so richtig doll interessierte, weil es weder Facebook noch Insta gab. Ah, jetzt weiß ich auch, woran dieser Wolfgang Wodarg mich erinnert: an Catweazle! Auch kompetenzmäßig! Salmei, Dalmei, Adomei!


Aber zurück vom virologischen Feld zu unseren kleinen Dingen. Die Beatles hebe ich mir noch ein wenig auf. Neben Creedence Clearwater Revival (habe ich schon ihre Nichtswürdigkeit erwähnt? Ja?) gibt es auf Platz 13 auch einen interessanten Neuzugang: Bridge Over Troubled Water von Simon & Garfunkel.


Brücke über verärgertes Wasser. Quelle: discogs
Ich kann mich erinnern: irgendwann in den Neunzigern, ich fahre auf der Autobahn, Sonntagmittag, und auf einer geruhsamen Interviewsendung im Deutschlandfunk wird jemand befragt (keine Ahnung, wer das eigentlich war), und die Gäste dürfen immer ihre Musik mitbringen, und er hat Bridge Over Troubled Water. Warum denn dieses Lied, fragt der Moderator, und der Gast antwortet: Weil es das perfekte Lied ist. Da ist etwas Wahres dran. Hört es Euch noch einmal in Ruhe an, wie langsam und fast behutsam es beginnt, aber schon in diesen ersten Zeilen klar ist, dass in dem Lied bald Großes geschehen wird. Es ist ein wahnsinnig schöne Melodie, und niemand auf der Welt kann sie so singen wie Art Garfunkel in diesen knapp 5 Minuten. Wobei das Orchester erst richtig nach dreieinhalb Minuten einsetzt, zusammen mit dem Duogesang mit Paul Simon, aber dann ist eigentlich auch schon alles passiert. Ich war damals richtiggehend ergriffen. Es gibt nicht so viele perfekte Lieder. Merkwürdigerweise ist es Let It Be von den Beatles fast ein wenig ähnlich – vielleicht auch ein nahezu perfektes Lied, das sehr sparsam mit Klavier und Gesang beginnt. Dass beide ausgerechnet in derselben Woche ihre Hitparadenkarriere beginnen, ist fast schon eine großmütige Verschwendung üppiger Schönheit. 




Rakete der Woche: Let It be von den Beatles von 0 auf 2
Veteran der Woche: Dein schönstes Geschenk von Roy Black mit 10 Wochen
Liebling der Woche: Bridge Over Troubled Water auf der 13 

Freitag, 13. März 2020

Nr. 6 vom 15.3.1970 oder Das Rätsel Mendocino endlich gelöst




Ja, es ist gut und gerecht: auch in dieser Woche grüßt Led Zeppelin von Platz Nummer 1! Es ist eben eine ganze Menge Liebe. Hier die youtube-Playlist!

Schlendern wir einmal ein wenig durch das Weltgeschehen Anfang 1970. Sehr instruktiv ist dieser Artikel aus dem SPIEGEL-Archiv, in dem man sich einmal zu vergewissern versucht, wo man steht.

Mehr als 700.000 Haushalte hätten jetzt einen Zweitwagen, und mittlerweile 15,7 Mio. einen Fernseher. Was waren doch die 60er für Goldene Zeiten. Das stimmt, und es wußte auch noch keiner, dass die Trentes Glorieuses in ungefähr 3-4 Jahren aufhören würden.

Aber der SPIEGEL warnt aber schon jetzt: man würde der Wissenschaft nicht mehr alles glauben, man strebe nicht nur nach schnödem Reichtum, sondern moralische Werte würden immer wichtiger. Und sogar so neumodische Sachen wie der Datenschutz. „Wieweit beispielsweise soll das Sammeln von Daten von Daten aus der Privatsphäre des einzelnen in elektronischen Gedächtnisspeichern zulässig sein?“ fragt der SPIEGEL besorgt wie possierlich. Und die Umwelt, die sei in 25-30 Jahren auch unwiederbringlich zerstört. Es ist frappierend, wie bekannt die Diagnosen klingen.

Früher war aber nicht nur alles gleich, sondern auch schlechter. Man könne doch endlich mal die Oder-Neiße-Linie anerkennen (stimmt). „Oder selbst eine so simple Erkenntnis, daß Sicherheitsgurte im Automobil Schutz bieten. Von 92 Verkehrsfachleuten, die täglich blutigen Straßenunfällen konfrontiert werden, so ergab kürzlich eine Umfrage, schnallen sich nur 34 an.“

Das stimmt wirklich. Man hat sich früher nicht angeschnallt. Die ersten Gurte, die in unseren Autos waren, die waren auch nicht automatic, so dass man sie umständlich anlegen und festzurren mußte. Die Gurtpflicht kam erst 1976, vorher hat man sich „am Lenkrad festgehalten“. Die Gurtpflicht galt für Taxifahrer erst ab 2014, und zwar, damit der Taxifahrer bei einem Überfall schneller flüchten konnte. Dann stellte man fest, dass gurtloses Fahren deutlich gefährlicher ist gegurtetes Überfallenwerden.

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So, und jetzt müssen wir einmal über Mendocino sprechen, bevor es endgültig verschwindet! Michael Holm war schon Anfang der Sechziger aktiv, hatte aber nie so richtig den Supererfolg. Interessant ist, dass Michael Holm eigentlich eher Texter als Komponist ist, und der deutsche Text von Mendocino stammt von ihm selbst.

Auf dem Weg nach San Fernando (Quelle: discogs)

Noch einmal kurz die erste Strophe:


Auf der Straße nach San Fernando
Da stand ein Mädchen wartend in der heißen Sonne
Ich hielt an und fragte: „Wohin?“
Sie sagte: „Nimm mich bitte mit nach Mendocino“

Ich fand das schon immer bemerkenswert, denn Michael Holm (offenbar im Nadelstreifensakko unterwegs), fährt ja nach San Fernando, aber das Mädchen will nach Mendocino. So, denkt man dann, das ist so, als würde das Mädchen in Dortmund-Sölde an der B1 stehen und wir wollen nach Essen fahren, und sie sagt Nimm mich bitte mit nach Bochum-Wanne.

ABER! Wenn man das jetzt mal im Atlas nachschlägt! Da Mendocino an der Küste liegt, dürfte Mademoiselle eventuell nördlich gestanden haben. Mendocino liegt aber noch deutlich vor San Francisco, während San Fernando ein Vorort von Los Angeles ist. Das sind genau 1009km. Das ist doch völlig unwahrscheinlich, im Cabrio (mit Nadelstreifensakko) von X (wissen wir ja nicht) nach San Fernando (allermindestens 1009km) zu fahren. Und wahrscheinlich hat er nicht einmal einen Sicherheitsgurt um.

Das eigentliche Problem für Michael Holm liegt aber darin, sie nicht mehr zu finden: „Sie sagte sie will mich gern wiedersehen, doch dann vergaß ich leider ihren Namen.“ Ich meine, was soll er mit ihrem Namen? Er braucht ihre Mobilnummer, um ihr eine Whatsapp zu schicken. DAS ist doch der Punkt.

Falls der Leser jetzt Aufklärung durch das Original erhofft: es gibt keine. Der Text des Originals dreht sich ausschließlich darum, dass es ganz nett ist in Mendocino (Make love along the way in Mendocino), aber keinesfalls um die verzweifelte Suche eines Autofahrers nach einer verlorenen Liebe, die ihr Haar mit zwei goldenen Spangen hält.

ABER! Michael Holm hat ja nicht nur zu Mendocino den Text geschrieben, sondern auch später zu Rex Gildos Fiesta Mexicana, und da heißt es:

Und ich küsse Carmen Sita, denn der Abschied ist nah.
Weine nicht muß ich gehn,
weil wir uns ja wieder sehn, bei einer
Fiesta, Fiesta Mexicana


So fügt sich alles zusammen. Nach vielem Klingeln an Mendocinoer Haustüren(1970) hat Michael Holm sein Mädchen Carmen Sita gefunden (1971), feiert noch eine Fiesta Mexicana (1972), aber muß sie dann verlassen. Schließlich muß er ja noch nach San Fernando. Rätsel gelöst!

Rakete der Woche: Canned Heat Let’s Work Together von 0 auf 6
Veteran der Woche: Mendocino (16 Wochen)
Liebling der Woche: Marmalade, Reflections Of My Life (das ist so schön 1964!)