Freitag, 3. September 2021

Nr. 39 vom 2.9.1971 oder Du kannst atmen, Du kannst gehn, und: ABBA

 


Hier ersteinmal die Top 20 auf youtube.

Auf Platz 14: "Schön ist es auf der Welt zu sein" von Roy Black und Anita: Hier ist die Langversion mit einem Ausschnitt von "Wenn mein Schätzchen auf die Pauke haut". Das Rätsel ist, warum der Mensch von 1971 sich solche Filme angeschaut hat und lustig gefunden hat. Wir hatten ja schon ausführlich in Lieferung Nr. 3 über Roy Black (und seinen Fluch) geschrieben.

Das Schönste im Leben ist die FREI-HEIT, okay, das ist schon klar, aber wir verdanken diesem Lied eine der rätselhaftesten Zeilen des deutschen Schlagers:

Du kannst atmen du kannst gehn

Nun gut. Würde man nicht mehr atmen, so fallen ziemlich viele schöne Sachen im Leben fort, unter anderem auch "gehen." Man könnte aber auch singen:

Du kannst atmen du kannst Butterkremtorte backen, was genau so falsch oder richtig ist, aber nicht so ins Reimschema paßte. Hier noch ein Ausschnitt aus einer zeitgenössischen Show

Oft behauptet, nie bewiesen: Schön ist es etc. (Quelle. discogs, Polydor)


Es gab in den Siebzigern noch mehrere gemeinsame Auftritte, die hier zusammengeschnitten sind, und in "Jetzt können wir endlich von Liebe singen" von 1980 münden: Hegerland ist nun 19 Jahre alt. Ich fasse zusammen: Anita Hegerland war beim ersten Lied 10 Jahre alt, und nachdem sie jetzt neun Jahre gewartet haben, kann sie sich kaum Schöneres vorstellen, mit dem nun exakt doppelt so alten Roy Black "endlich von der Liebe singen" zu können. Schon Wahnsinn, was damals so alles durchging. In späteren Interviews sprach Hegerland über Roy Black mit höchstem Respekt: er sei wahnsinnig nett gewesen. Und habe ihr eine kleine Schildkröte geschenkt.

So, jetzt müssen wir nur fünf weitere Jahre vorspulen, und zwar hierhin: Ja, das ist die kleine Anita, du kannst atmen du kannst gehn, gestern Roy Black, heute Mike Oldfield. Das ist alles sehr schwer zusammenbringen - die kleine Anita mit Senfflasche im Wohnwagen hantierend, und die große Anita mit schlimmster Fönfrisur und Aerobic-Kluft in der tiefsten 80er-Jahre-Hölle.

Die Kollaboration zwischen Oldfield und Hegerland war aber mit Pictures In The Dark nicht vorbei, da die beiden ziemlich ausführlich von Liebe gesungen haben, nämlich von 1987 bis 1991 und sogar dabei Kinder herstellten. Es scheint aber nicht komplett gut ausgegangen zu sein mit beiden, was man daran sieht, dass der erste große Mike-Oldfield-Sampler "Elements" von 1993 gänzlich ohne Anita-Hegerland-Lieder auskam.

Viel später. Hier ein Auftritt von 2018, in der MDR-Kultnacht,in der sie Moonlight Shadow singt (mit dem sie nichts zu tun hatte) und die MDR-Ossis dazu Phosphor-Stäbe schwenken, dann noch ein Interview, und sie singt dann acapella ab 7.20 Schön ist es auf der Welt zu sein, während die Ossis sie mit ihren Handys aus dem Klappetui abfilmen. Das ist sehr, sehr speziell, wahrhaftig.

Man sieht aber auch, wie sehr alter Scheiß (Pictures In The Dark) und sehr alter Scheiß (Schön ist es auf der Welt zu sein) irgendwann doch zusammenwachsen.

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So, etwas ganz anderes. Aus aktuellem Anlaß müssen wir einerseits etwas vorspulen, andererseits weit zurückspulen: Abba hat ein neues Lied gemacht, genauer gesagt: zwei, und gestern abend veröffentlicht. Wir müssen in der Goldenen 20 noch drei lange Jahre auf Abba warten (bis sie dann praktisch ununterbrochen bis 1981 vertreten sind). Aber gut! "I Still Have Faith In You" ist nun einmal auf der Welt. Das letzte neue Lied war "Under Attack" vom Dezember 1982. Überlegt euch mal, wo ihr im Dezember 1982 wart, und warum. Das ist schon wirklich lang her.

Und ich muß auch sagen, etwas unentschieden zu sein. Ich war nie ein richtiger Fan, weil ich es damals nicht durfte (das war ja das ALLERLETZTE! Abba-Fan! Das sind doch nur Mädchen! Und es ist ja zu kommerziell), und später nicht wollte. Aber ich stehe mit aufrichtiger Bewunderung vor ihrem Werk. Und eigentlich machen sie auch viel richtig: das neue Lied ist nicht Dancing Queen, nicht Thank You For The Music, sondern irgendwie dazwischen, und so sacht produziert, dass man in 20 Jahren noch einmal nachgucken muß, von wann es eigentlich ist. Wären nicht die Stimmen. Es ist nun einmal so, dass Agnethas Glockensopran nachgedunkelt ist - sie ist letztes Jahr immerhin 70 geworden. Mit 70 wird unserereins froh sein, an der Pennykasse noch "Nein danke keine Treuepunkte" sagen zu können, geschweige denn etwas zu singen. Aber es ist nun einmal Abba, und es stellt sich die Frage, ob es nicht weiser gewesen wäre zu schweigen. Das machen Protagonisten der Weltreligionen seit ehemals genau so, weil sie genau wissen, dass ihnen ein Auftritt niemals nützt, aber erheblich schaden würde. Ich meine: stellt euch vor, Jesus käme jetzt noch einmal herabgestiegen. Er säß dann in einer Talkshow und würde sagen: Klimawandel, ganz schrecklich, da müssen wir was tun, und überall Ungerechtigkeit, schlimm. Man würde davor sitzen und sagen, ja okay, ist ja alles richtig, aber....Es würde etwas fehlen. Ich meine: JESUS! JESUS! Ich glaube, der Mann kann seinen Ruf überhaupt nicht mehr einholen, sollte er doch ein Comeback planen. Und wie es mit Abba ist: wissen wir nicht, aber seien wir skeptisch, aber wohlwollend, denn immerhin können sie atmen und gehn!

 

Dauerbrenner der Woche: MotR, Wolfgang, T.Rex mit jeweils 20 Wochen

Rakete der Woche: Borriquito von Paret

Liebling der Woche: Du kannst atmen!