Mittwoch, 22. September 2021
Freitag, 3. September 2021
Nr. 39 vom 2.9.1971 oder Du kannst atmen, Du kannst gehn, und: ABBA
Hier ersteinmal die Top 20 auf youtube.
Auf Platz 14: "Schön ist es auf der Welt zu sein" von Roy Black und Anita: Hier ist die Langversion mit einem Ausschnitt von "Wenn mein Schätzchen auf die Pauke haut". Das Rätsel ist, warum der Mensch von 1971 sich solche Filme angeschaut hat und lustig gefunden hat. Wir hatten ja schon ausführlich in Lieferung Nr. 3 über Roy Black (und seinen Fluch) geschrieben.
Das Schönste im
Leben ist die FREI-HEIT, okay, das ist schon klar, aber wir verdanken diesem
Lied eine der rätselhaftesten Zeilen des deutschen Schlagers:
Du kannst atmen du kannst gehn
Nun gut. Würde
man nicht mehr atmen, so fallen ziemlich viele schöne Sachen im Leben fort,
unter anderem auch "gehen." Man könnte aber auch singen:
Du kannst atmen
du kannst Butterkremtorte backen, was genau so falsch oder richtig ist, aber
nicht so ins Reimschema paßte. Hier noch ein Ausschnitt aus einer zeitgenössischen Show.
Oft behauptet, nie bewiesen: Schön ist es etc. (Quelle. discogs, Polydor)
Es gab in den Siebzigern noch mehrere gemeinsame Auftritte, die hier zusammengeschnitten sind, und in "Jetzt können wir endlich von Liebe singen" von 1980 münden: Hegerland ist nun 19 Jahre alt. Ich fasse zusammen: Anita Hegerland war beim ersten Lied 10 Jahre alt, und nachdem sie jetzt neun Jahre gewartet haben, kann sie sich kaum Schöneres vorstellen, mit dem nun exakt doppelt so alten Roy Black "endlich von der Liebe singen" zu können. Schon Wahnsinn, was damals so alles durchging. In späteren Interviews sprach Hegerland über Roy Black mit höchstem Respekt: er sei wahnsinnig nett gewesen. Und habe ihr eine kleine Schildkröte geschenkt.
So, jetzt müssen wir nur fünf weitere Jahre vorspulen, und zwar hierhin: Ja, das ist die kleine Anita, du kannst atmen du kannst gehn, gestern Roy Black, heute Mike Oldfield. Das ist alles sehr schwer zusammenbringen - die kleine Anita mit Senfflasche im Wohnwagen hantierend, und die große Anita mit schlimmster Fönfrisur und Aerobic-Kluft in der tiefsten 80er-Jahre-Hölle.
Die Kollaboration zwischen Oldfield und Hegerland war aber mit Pictures In The Dark nicht vorbei, da die beiden ziemlich ausführlich von Liebe gesungen haben, nämlich von 1987 bis 1991 und sogar dabei Kinder herstellten. Es scheint aber nicht komplett gut ausgegangen zu sein mit beiden, was man daran sieht, dass der erste große Mike-Oldfield-Sampler "Elements" von 1993 gänzlich ohne Anita-Hegerland-Lieder auskam.
Viel später. Hier ein Auftritt von 2018, in der MDR-Kultnacht,in der sie Moonlight Shadow singt (mit dem sie nichts zu tun hatte) und die MDR-Ossis dazu Phosphor-Stäbe schwenken, dann noch ein Interview, und sie singt dann acapella ab 7.20 Schön ist es auf der Welt zu sein, während die Ossis sie mit ihren Handys aus dem Klappetui abfilmen. Das ist sehr, sehr speziell, wahrhaftig.
Man sieht aber
auch, wie sehr alter Scheiß (Pictures In The Dark) und sehr alter Scheiß (Schön
ist es auf der Welt zu sein) irgendwann doch zusammenwachsen.
---
So, etwas ganz
anderes. Aus aktuellem Anlaß müssen wir einerseits etwas vorspulen,
andererseits weit zurückspulen: Abba hat ein neues Lied gemacht, genauer
gesagt: zwei, und gestern abend veröffentlicht. Wir müssen in der Goldenen 20
noch drei lange Jahre auf Abba warten (bis sie dann praktisch ununterbrochen
bis 1981 vertreten sind). Aber gut! "I Still Have Faith In You" ist
nun einmal auf der Welt. Das letzte neue Lied war "Under Attack" vom
Dezember 1982. Überlegt euch mal, wo ihr im Dezember 1982 wart, und warum. Das
ist schon wirklich lang her.
Und ich muß
auch sagen, etwas unentschieden zu sein. Ich war nie ein richtiger Fan, weil
ich es damals nicht durfte (das war ja das ALLERLETZTE! Abba-Fan! Das sind doch
nur Mädchen! Und es ist ja zu kommerziell), und später nicht wollte. Aber ich
stehe mit aufrichtiger Bewunderung vor ihrem Werk. Und eigentlich machen sie
auch viel richtig: das neue Lied ist nicht Dancing Queen, nicht Thank You For
The Music, sondern irgendwie dazwischen, und so sacht produziert, dass man in
20 Jahren noch einmal nachgucken muß, von wann es eigentlich ist. Wären nicht
die Stimmen. Es ist nun einmal so, dass Agnethas Glockensopran nachgedunkelt
ist - sie ist letztes Jahr immerhin 70 geworden. Mit 70 wird unserereins froh sein, an
der Pennykasse noch "Nein danke keine Treuepunkte" sagen zu können,
geschweige denn etwas zu singen. Aber es ist nun einmal Abba, und es stellt
sich die Frage, ob es nicht weiser gewesen wäre zu schweigen. Das machen
Protagonisten der Weltreligionen seit ehemals genau so, weil sie genau wissen,
dass ihnen ein Auftritt niemals nützt, aber erheblich schaden würde. Ich meine:
stellt euch vor, Jesus käme jetzt noch einmal herabgestiegen. Er säß dann in
einer Talkshow und würde sagen: Klimawandel, ganz schrecklich, da müssen wir
was tun, und überall Ungerechtigkeit, schlimm. Man würde davor sitzen und
sagen, ja okay, ist ja alles richtig, aber....Es würde etwas fehlen. Ich meine:
JESUS! JESUS! Ich glaube, der Mann kann seinen Ruf überhaupt nicht mehr
einholen, sollte er doch ein Comeback planen. Und wie es mit Abba ist: wissen wir nicht, aber seien wir skeptisch,
aber wohlwollend, denn immerhin können sie atmen und gehn!
Dauerbrenner
der Woche: MotR, Wolfgang, T.Rex mit jeweils 20 Wochen
Rakete der
Woche: Borriquito von Paret
Liebling der
Woche: Du kannst atmen!
Freitag, 13. August 2021
Nr. 38 vom 12.8.1971 oder Meilenweit To Hell
NATÜRLICH wieder Butterfly auf der 1. Es haben sich jetzt
verschiedene Herausforderer gezeigt, die aber allesamt an der 1 scheitern. 1971
ist wirklich ein krasses Butterfly-Jahr. Die Elenden (ich sage keinen Namen!)
sind schon wieder mit einem Neuzugang dabei. Ebenfalls die Neue von T:Rex und
Roy Black & Anita (DARÜBER wird ausführlich zu sprechen sein!) Hier
jedenfalls der Link zur Youtube-Playlist.
Ihr müßt eines zugeben: den guten, armen Ulli Martin haben
wir in der letzten Ausgabe milde und großzügig behandelt. Seine 25-Knöpfe-Jacke
staunend erwähnt, aber auch nicht gedisst. Jetzt sind wir beim unbedingt nicht
zu verwechselnden Martin Mann angekommen. Eigentlich haben wir uns ja für
diesen Blog vorgenommen, nur Liebe und Frohsinn über die Menschen zu streuen,
vor allem kein böses Wort über die Interpreten zu verlieren: Singen und Singen
lassen - das soll unser Motto sein, das wir höchstens in Notwehr einmal
zurückstellen (e.g. Creedence Clearwater Revival). Aber heute - der Martin Mann nee Mario Löprich wird es uns
nicht leicht machen!
Hier der Clip zuerst einmal Meilenweit aus der
ZDF-Hitparade, der etwas Besonderes ist: es handelt sich um einen nachbearbeiteten
Super8-Stummfilm, den ein gewisser Werner Schmitz aus Solingen mit Genehmigung
der Sendeleitung während der Aufzeichnung der Hitparade filmte. Das sieht dann
aber so aus, als wäre Mr. Zapruder vom Grashügel in Dallas zum Studio 1 der
Berliner Union-Film aus dem November 1963 zeitgereist.
Da das ZDF selbst alle Aufzeichnungen der Folgen 2 bis 25 gelöscht hat (ich glaube mich zu erinnern: sie brauchten die Bänder, so wie wir früher unsere Cassetten palimpsestiert haben) ist der Schmitz-Film das einzige erhaltene Filmdokument der Sendung und wurde aufwendig nachvertont und zwischenvertitelt. Zwar kriecht hier niemand zum Aufsammeln von Gehirnstücken über die Kofferraumhaube, aber man muß mitansehen, was der Martin Mann für eine Rampensau und was für ein übler Und-jetzt-alle-Animator ist.
In wesentlich besserer Qualität haben wir das Nachfolgelied
von Meilenweit in der Hitparade, und es ist ein universelles Desaster:
Lieddesaster, Singdesaster, Mitsingdesaster, Modedesaster, Desasterdesaster:
"Heut ist mir alles egal". Geschrieben haben diese Lied übrigens
Michael Holm und Ralph Siegel. Bekanntlich ist in der Hitparade ja nur die
Instrumentalspur vom Band, der Gesang kommt vom Künstler. Wir halten fest, dass
Martin Mann nicht so ganz hinbekommt mit dem Singen, und auch unangenehm
ADHS-mäßig herumhampelt.
Irgendwie erinnert er mich von der Musik und Gestus an Tony Marshall und Rex Gildo, aber die sind eher der Weintrinker auf der Fiesta und Martin Mann wohl mehr der Biersäufer auf der Ultra-Stehtribüne. Der nächste Streich aus dem Juni 1972 "Die Brücke von San Francisco".
Hey, ist das nicht fürchterlich? Schnipp, schnipp, schnipp, stampf, stampf, stampf. Er trägt eine Gürtelschnalle, bei der jeder WBO-Boxchampion vor Neid erblassen würde. Und in 00:35 seht ihr eine Eigenart, die er auch in anderen Hitparaden-Auftritten hatte: er hängt sich das Mikro kurz um den Hals (ja, das hatte ein Kabel, liebe Gegenwärtige), um das Publikum zur Ekstase zu klatschen. Und jetzt alle! Klatsch klatsch klatsch! Seien wir froh, dass Princess Diana damals mit Elton John befreundet war, und nicht mit Michael Mann.
Hier, noch einen: Heut wolln wir leben, wo er es fertigbringt, das fast woodstockartige Original
von Albert Hammond (hier in der DISCO-Sendung)
https://www.youtube.com/watch?v=U6-IDU1MgFM zu verhunzen. Zumal Down By The River eines der allerersten
Lieder war, das Umweltzerstörung zum Thema hat: "the banks will soon be
black and dead, and where the otter raised his head, will be a clean white
skull instead, down by the river"
Martin Mann beginnt mit:
Die Stadt ist laut und vom Gas verbraucht,
Die Straßen schwarz, die Häuser grau.
Pack die Sachen, wir fahr'n hinaus,
Heut' wolln' wir leben.
Oh, denkt man, vielleicht doch ein ökologischer Funken beim
Gutelaune-Martin? Nö. Die dritte Strophe:
Wir tanzen beide im Sternenlicht,
Das Lied verklingt, die Flamme bricht,
Ein Blick von dir, der mir verspricht,
Heut' woll'n wir leben.
Mein Gott, ist das bescheuert. Als würde man die
Internationale umdichten zu "Sauft mit, ihr Kumpels an der Strandbar,
damit wir wieder hacke sind" o.s.ä.. Fürchterlich. Im Hitparaden-Clip
schaltet übrigens der Kameramann um 2:00 herum fasziniert auf die
Kroko-Stiefel, mit denen Martin Mann in einer Mischung aus Sirtaki und
Preußischem Grenadiermarsch auf der Hitparaden-Hochbühne herumstampft. Und ja,
er trägt in ALLEN vorgestellten Clips so hochhackige Stiefel, dass wir vermuten
müssen: es sind Kompensations-Absätze. Wir wissen nichts über die Körpergröße
von Martin Mann. Meilenweit bist du DAMIT nicht gegangen.
So, ein Jahr später nähern wir uns der mittleren
Schaffensperiode von Martin Mann:
Rab dab da dab heißt das Lied. Oh, der Fritz-Honka-Schnurrbart ist weg! Und meint ihr nicht auch, dass der Künstler plötzlich etwas zurückgenommener, introvertierter ist? Naja, jedenfalls bist 2:14, als er eine unschuldige Zuschauerin zum Tanzen nötigt, die Ärmste, wir Ärmste.
Und noch etwas später: Oh! Ist das unser Martin Mann? Ja! Er hat sich so ein bißchen in Richtung Jürgen Marcus gedreht. Er singt "Bind ein blaues Band um unseren Birkenbaum" zu "Tie a yellow ribbon around the old oak tree". Niemand - außer Michael Holm, der hat es so übersetzt - weiß allerdings, warum das Band nun blau statt gelb ist, und warum aus der Eiche jetzt eine Birke geworden ist. Martin Manns Absätze sind allerdings noch immer gigantisch. Der Wolf im Birkenpelz.
Dann war einige Zeit Ruhe um unseren Helden. Wir finden diesen Clip aus dem Jahr 1977, aus DISCO: "Weil sie noch nicht mal 16 war" Nicht nur die Musik, sondern auch der Text dieses Lieds ist von ausgemachter Widerlichkeit. Achtet mal im Video auf 00:49 - bei der Zeile "Sie hat ihn jede Nacht gesehen" ("Sehen" im Sinne des biblischen Erkennens) nickt er jemandem im Publikum zu, leckt sich die Lippen und grinst. Boah, wie ekelhaft. Er kommt einem so vor, als würde er einen BMW 2002 fahren, einen Dobermann halten und schon zweimal bei Derrick mitgespielt haben.
Martin Mann, Quelle: Jupiter Records/Discogs |
Es ging wieder aufwärts mit Herrn Mann. 1978 der nächste Knaller: Strohblumen. Die Gitarre hatte er ja schon beim 16-Clip dabei, und sie hilft ihm bei der Hyperaktivität. Und ich denke, das kommt euch doch bekannt vor, nicht nur wegen des Originals von John Campbell. Genau, so ist es. Im Jahr zuvor: Jürgen Drews mit dem Bett im Kornfeld.
Ich hätte mir niemals vorstellen können, einmal folgenden Satz zu schreiben, ja schreiben zu müssen, und hier ist er: Jürgen Drews ist ungekünstelter und origineller, und seine Attitüde ist sympathischer. Himmel! Und hier im selben Jahr "Es riecht nach Sonne" ranzt er sich noch unverblümter an das Werk von Jürgen Drews heran.
Ich meine - Jürgen Drews nachzumachen, das ist doch ein bißchen so, als würde man den Delicato Fleischsalat von Aldi versuchen zu fälschen, oder River Cola faken. So weit es sich recherchieren ließ, konzentrierte sich Mann dann ab den 80ern auf die Arbeit als Komponist und Produzent (d.h., ihm blieb nichts anderes übrig wahrscheinlich). Im Jahr 2018 streckt er wieder seinen Kopf hervor, mit dem Titel "Meilenweit nach Mendocino"
Schaut es euch an. Es ist entsetzlich. Es ist schlimmer als alle anderen Lieder zusammen. Eigentlich ein Fall für das Kriegswaffenkontrollgesetz. Genug!
Dauerbrenner der Woche: Abraham mit abrahamitischen 18
Wochen
Rakete der Woche: Die Kackfrösche
Liebling der Woche: Get It On!
Freitag, 30. Juli 2021
Nr. 37 vom 29.7.1971 oder Zwölf Knöpfe für ein Halleluja
Aufmerksame Leser der Goldenen 20 werden bemerkt haben, dass nicht nur Nr. 1 Butterfly oben festgenagelt ist, sondern auch seit 6 Wochen Nr. 2 Chirpy Chirpy Cheep Cheep und Nr. 3 Hot Love. Ein bemerkenswertes 3-Lieder-Kartell, und ich bin sicher, dass es das vorher und nachher nie gegeben hat, wie drei Lieder dort oben unverändert von der Spitze grüßen. Hier die You-Tube-Playlist.
In der Mitte der Hitparade gibt es einen lustigen
Zungenbrecher. Luft holen und los: Die Lieder Monika von Ulli Martin,
Meilenweit von Martin Mann und Fremder Mann von Marianne Rosenberg liegen auf
den Plätzen 11, 12, 13. Welche Fügung der Zeitläufte! Heute werden wir uns erst
einmal um Ulli Martin kümmern!
---
Ulli Martin heißt eigentlich Hans Ulrich Wiese und gehört zu
den Schlagersängern, die es so halb geschafft haben. Halb heißt: nicht in die
Michael-Holm-Chris-Roberts-Howard-Carpendale-Klasse. Also die nicht erst in den
Achtzigern zur Möbelhauseröffnung singen mußten, sondern schon in den
Siebzigern, als der große Hundsstern des Schlager noch gleißend über uns stand.
Frisur wie ein Stückchen Schokoladenkuchen: Ulli Martin
Aber hört mal seinen größten Hit sorgfältig an. Das ziemlich scheußliche Lied hat eine Eigenart, die meiner bescheidenen Meinung nach sich erst später durchsetzte, und dort vor allem bei der sog. volkstümlichen Musik: der Hintergrundchor ist unisono auf den Refrain gesetzt, zusammen mit dem vollen Blech. Das erzeugt die Illusion gemeinschaftlichen Mitsingens, gerade wenn die vorgehende Strophe nur solo gesungen wird. Die Hymnenartigkeit von "Monika" liegt allerdings auch im Original begründet, das "Moja strana, moja bulgaria" und bei dem das Moja Bulgaria so wie Monika geschmettert wird. Dazu habe ich diesen obskuren Clip gefunden, mit der angeblichen Sängerin Krisia Todorova: Sagt mal: das ist doch Karaoke, oder? Die Stimmlage der Sängerin ist eher Mezzo in Richtung Alt, aber doch nicht von einer Zehnjährigen? Rätselhaft.
Zurück zu Ulli Martin. Seine Garderobe fällt auf. Im
Monikaclip hat einen Anzug wie der zweite böse Zauberer aus einer Kinderoper.
Apropos Anzug: Er hat in einem Interview erzählt, wie er sich für sein
Schlagerstarleben einen besonderen weißen Anzug hat schneidern lassen:
"Zwölf Knöpfe auf jeder Ärmelseite, zwölf hier links, zwölf da rechts,
aber nur einer vorne am Sakko." Schick!
"Ich war der Erste!" fährt er fort, "ich hab' in der
Hitparade als erster Sänger den Anzug eingeführt. Hängt übrigens noch heute bei
mir im Zimmer. Falls eine Millionärin Interesse hat: Kann sie ersteigern."
12 Knöpfe auf jeder Ärmelseite! Und einen einzigen Knopf in der Mitte! Den
Anzug kann man hier sehen, beim Ich-träume-mit-offenen-Augen-von-dir ebenfalls
in der Hitparade.
Der Ärmel mit den 12 Knöpfen Quelle: ZDF Hitparade
Das Interview hat Ulli Martin dem Straßenmagazin "Hempels" gegeben. Er lebt in einem mittlerweile Pflegeheim in Bad Bramstedt, hat einen amtlich eingesetzten Betreuer und bekommt 111 € Taschengeld im Monat. Viel ist passiert, und zwischendrin nicht so viel Gutes. So sieht er heute aus, immer noch mit einem prägnanten Geschmack für Oberteile:
Ulli Martin, später. Quelle: Stadtmagazin Hempels 2018
Ich stelle mir vor, wie Ulli Martin, geboren Hans Ulrich Wiese, manchmal, am frühen Abend, in seinem Zimmer im Pflegeheim in Bad Bramstedt seinen weißen Anzug aus dem Schrank nimmt, das Sakko vom Bügel streift uns sich die Jacke überzieht. Und dann mit den Händen über die 12 Knöpfe streicht, 12 links, 12 rechts. Vielleicht denkt er darüber nach, wie so alles gekommen ist. Wie viel doch falsch gelaufen ist. Aber wie er auch mal ziemlich weit oben gewesen ist, und wenigstens das wird ihm keiner mehr nehmen können. Nie.
Rakete der Woche: Monika von Ulli Martin
Liebling der Woche: Natürlich auch Monika von Ulli mit den
12 Knöpfen
Freitag, 16. Juli 2021
Nr. 36 vom 15.7.1971 oder Jungen die Ähnlichkeit mit Michael Schanze haben
So, ziemlich wenig los in der Sommerausgabe 1971 der
Goldenen 20. Gerade mal 3 Re-Entries und null Neuzugänge. Vorne ziehen
Butterfly, Chirpy, Hotlove, Brownsugar und Abraham ihre Kreise, wie immer. Hier der You-tube-Link.
Das gibt uns Gelegenheit, einmal ein wenig im Musikexpress
herumzublättern. Ich wurde ja erst zehn Jahre später Leser, das heißt, wenn ich
mir die 3,50 DM (1981) für ein Heft leisten konnte, was keinesfalls immer der Fall
war. 3,50 DM waren ungefähr ein Drittel der Kosten einer italienischen
LP-Pressung (9,90 DM) und immerhin ein Fünftel der Investion einer guten
deutschen Pressung (17,90 DM). Den Musikexpress allerdings brauchte ich
hingegen, um zu erfahren, was ich mir eigentlich hätte kaufen sollen oder müssen
und nicht ausschließlich auf das Urteil meiner Freunde zurückzugreifen, das genau so zweifelhaft war wie meines. Wenn ich also den
Musikexpress kaufte, hatte ich kein Geld mehr für die dort besprochenen
Platten, und wenn ich das Geld sparte, wußte ich nicht, was ich kaufen sollte.
Das erinnert ein wenig an die bekannte Geschichte über das arme, aber
liebevolle Paar, als er seine Taschenuhr versetzt, um ihr einen schönen Kamm zu
kaufen, und sie ihr langes Haar verkauft, um ihm eine Uhrenkette zu schenken.
Musik Express vom Juli 1971 |
Aber wir sind ja 10 Jahre früher, im Jahr 1971 (1,60 DM für ein Exemplar). Der damalige
Musikexpress war noch etwas anders drauf. Eigentlich ist der Muziekexpress eine
holländische Zeitschrift, was in den ersten Jahren dazu führte, dass viele
Anzeigen auf holländisch für holländische Produkte warben (Mi-lock socks:
modern und modieus).
Ansonsten glaubt man erst an eine Schülerzeitung:
ausgeschnittene Girlanden-Reprovorlagen, Erlebnistexte, apologetisches Fantum
und eine verblüffende große Zahl von Postern. Man hat fast den Eindruck, sich
in eine BRAVO verlaufen zu haben. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass
damals noch die Welt so jung war (wie wir kürzlich erst beschrieben haben):
Nerds und Fans lagen noch einträchtig und ungeschieden beieinander, bevor sie durch
ein Bravo-Musikexpress-Schisma in Voll-Checker-Attitüde und naives Dufte-Finden
geteilt wurden. Musik ist natürlich im ME wichtig, aber es gibt gerade mal 9
LP-Rezensionen (unter anderem wird LA Woman ganz ok gefunden), dafür aber eine
kitschige Kurzgeschichte.
Und es gibt die Doppelseite mit Kleinanzeigen
"ME-TOPPERS". Die Hälfte der privaten Inserate bezieht sich auf den
An- und Verkauf von Tonträgern. Die andere Hälfte ist deutlich interessanter:
hier möchte man Kontakte knüpfen. Wie es so der Lauf der Welt ist, suchen die
Mädchen die Jungs und die Jungs die Mädchen. Was bemerkenswert ist: alle
Mädchen suchen langhaarige Jungen. Alle. Die Jungs wiederum behaupten,
langhaarig zu sein, wohl damit sie nicht in Kurzhaarverdacht bei potenziellen
Brieffreundinnen geraten. Und ja, so funktionierte es 1971: man schrieb sich
Briefe. Übrigens sind die überwiegende Anzahl dieser Anbandelungsanzeigen mit
Name und kompletter Adresse versehen. Hier zwei typische Beispiele:
Dieser und alle anderen Ausschnitte: Musik Express, 7/71-10/71 |
Abgesehen von der Langhaarigkeit möchte Frau-32-cm auch einen Typen, der "vergammelt" ist. Wir geben zu: die große Zeit der Vergammelten ist heute vorbei. Übrigens auch der Langhaarigen.
Heutige junge Damen schlagen ob der Musikauswahl wohl die Hände über dem Kopf zusammen, was für eine grauenhafte Boomer-Mucke. Aber nein, ich muß mich korrigieren: heutigen jungen Damen wird "Led Zeppelin" so viel sagen wie unsereins der Minnesänger "Burkhart von Hohenfels" (Mitte 13. Jhdt)). Und Uriah Heep halten sie glatt für eine Figur aus Charles Dickens.
Die vollständigen Namen und Adressen bei diesem Zeitlupen-Tinder verführen natürlich dazu, einmal nachzugoogeln, was aus diesen Menschen so geworden ist. Gerade bei selteneren Nachnamen führt das auch recht oft zu Ergebnissen. Annette ist Steuerberaterin geworden. Margit arbeitet in einer Firma, die sich offenbar mit Plastinationen von Leichen beschäftigt. Ich glaube, das geht den allermeisten so, die damals vorwiegend Ten Years After und Emerson Lake & Palmer gehört haben.
Auch solche Reisebegleitungsaufrufe gibt es häufig. Hier als Bedingung, um mit den Damen durch Europa zu trampen: Lange Haare, klar, und "evtl." Bart. Und Student. Und Pink Floyd, Ten Years After und Kraftwerk hören. Ja, ihre Töchter werden alles das übrigens auf ihren No-Go-Listen haben, wenn sie dann zwanzig, dreißig Jahre später durch Europa ryanairten.
Jungs probieren es übrigens auch. Man sieht bei folgender
Anzeige förmlich vor sich, wie Günther, Herbert und Dietmar (so hießen junge
Leute in dieser Zeit) an jedem Wort ihrer lustig-fluffigen Anzeige feilen.
"Wir sind nicht besonders nett", haha, wie witzig, und "unmusikalisch". Übrigens halte ich es für nicht den allerbesten taktischen Schachzug, "fast immer knapp bei Kasse" zu sein. Möchte denn der "nette weibliche Anhang" seine Asbach-Cola selber bezahlen? Ich glaube nicht! Dietmar hat übrigens eine respektable Karriere in der Textilbranche hingelegt. Ein echter Womanizer, und wohl jetzt auch nicht mehr knapp bei Kasse. Über Günter und Herbert ist mir nichts bekannt. Weiter:
Das sind schlaue Mädchen. Erst einmal schreiben, und dann mal
weitersehen. Immerhin mögen sie kein Creedence Clearwater, sondern so ziemlich
alles, was man 1971 für Heavy Metal gehalten hat (wofür es noch kein Wort gab
damals außer "Hard Rock").
Übrigens scheint es mir so zu sein, dass das Gammeln von 1971 zum
Chillen von 2021 geworden ist. Margrit ist übrigens (wahrscheinlich)
Redakteurin bei den Öffentlich-Rechtlichen. Bei diesen Mädchen ist alles glatt
gelaufen, das ist glasklar.
Neuer Versuch. Hm, "sehe nicht schlecht aus". Er hätte vielleicht schreiben können: "sehe gut aus". Seine Hobbies sind tanzen, diskutieren und Mode. Gammeln allerdings nicht, wie wir befremdet feststellen, aber immerhin hat er lange Haare. Eine gewisse Unentschlossenheit und ein vorsichtiges Abwägen merkt man seiner Zuschrift an. Was er geworden ist: Hochschulprofessor, Spezialgebiet Risikobewertung geworden. Merkt man irgendwie schon.
Man stößt übrigens beim Nachgoogeln dann auch auf Leichen,
inklusive Nachruf. Der romantische Boy hat sein Girl gefunden, und auch Kinder
gehabt, ist dann aber schwer und lange erkrankt, und 2017 gestorben.
Der 22jährige "schräge Vogel" sucht ein "flügge gewordendes Girl ab 13", und zwar für Briefwechsel oder "mehr". Das war auch 1971 ein bißchen "schräg". Er legt dann auch noch sein Journalist-Sein mit umfangreicher Reisetätigkeit als Leimrute für die flüggen Girls aus.
Es wird ja nicht alles schlechter, sondern im Gegenteil sehr vieles sehr viel besser. Und unter anderem das Selbstbestimmungsrecht junger Mädchen und Frauen, welches man Anfang der Siebziger unter dem Label sexueller Freiheit großzügig ignorierte, auch und gerade in den damals sich verbreitenden Bildern. Bei Udo Jürgens waren es noch siebzehn Jahr, blondes Haar, so stand sie vor mir, aber dem Schrägvogel reichen 13 Jahr völlig. Aber lange Haare, weil er selbst welche hat, und Schnurrbart.
Und was soll ich euch sagen: es gibt Schrägvogel noch immer.
Das hat mich schier umgehauen. Er pflegt mehrere Webseiten, und er ist in den letzten
Jahrzehnten nicht schlecht im Geschäft gewesen. Er ist heute noch genau so
unangenehm und klebrig wie vor 50 Jahren. Ein unangenehmer Typ, wie man an
jedem seiner Fotos sieht. Kackvogel. Schäm Dich!
Aber so möchte ich auch nicht aufhören. Einen noch. Eine
Zuschrift aus Berlin:
Hm. Hartmut ist ohne Probleme auf Facebook zu finden. Und er hat mich jetzt wirklich gerührt. Hartmut ist klein (das schreibt er ja) und hat ein kugelrundes Gesicht. Auf einem Foto posiert er im blauen Sakko, gestreifter Krawatte und schwarzer Hose und einem Hut vor einem unordentlichen Büroregal. Sein Style ist so, was man früher einmal "unvorteilhaft" bezeichnete. Auf einem anderen Foto, im selben Keller, sitzt er in einem blaugestreiften Polo-Shirt (das ist der Hartmut-Style) da und kneift die Augen zusammen, als würde ihn jemand mit Blitz fotografieren, obwohl man das nicht mehr macht. Er trägt eine silberne Schlüsselkette am Gürtel. Er hat mehrere kleine Hunde einer sehr seltenen Rasse, die aber alle wie ausgestopft aussehen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er einen Kleingarten hat. Sonntags fährt er dann raus, angelt den Gartentorschlüssel an der silbernen Kette aus der Tasche, schließt auf, trägt den ausgestopften Hund in den Garten und zupft im Vorbeigehen etwas Unkraut ab. Das ist Hartmut, gegen alle Gewalttaten, und das Aussehen ist egal.
Dauerbrenner der Woche: Die Kackfrösche CCR sind endlich weg! Und
jetzt Rose Garden!
Rakete der Woche: Ein verrückter Tag von Michael Holm
Liebling
der Woche: I Did What I Did For Maria!
Donnerstag, 1. Juli 2021
Nr. 35 vom 1.7.1971 oder Man fliegt nur mit den Möwen gut
So. Butterfly auf der 1, und das wird auch noch einige Zeit so bleiben. Wir haben ohnehin eine ziemlich stabile Spitze, die schon seit 2 Monaten zusammenklebt. Und hier die aktuelle Hitparade auf Youtube.
Auf Platz Nr. 9 entdecken wir Neil Diamond, der uns schon vorher mal über den Weg gesungen ist. Komischer Typ, irgendwie. Natürlich war er nicht im Mindesten satisfaktionsfähig. Niemand hörte Neil Diamond. Wir wilden Jugendlichen sowieso nicht, aber auch nicht unsere Eltern. Genau, Neil Diamond war irgendwie zwischen uns und unseren Eltern, sozusagen die Musik der jüngeren Tante, die immer ein bißchen über die Stränge geschlagen hat und ein wenig zu viel mit Männern zu tun gehabt hatte, oder gar GESCHIEDEN war. Die hörte Neil Diamond. Natürlich hat der Mann eine Mörderstimme, einen extrem elastischen Bariton, erinnert ein wenig an den großartigen Scott Walker, der eigentlich auch zeitgleich unterwegs war, den wir aber leider nie in der Hitparade begrüßen werden.
Das große Problem bei Neil Diamond ist: das ist keine Rockmusik. Er hat immer ein Orchester, hört es euch mal bei I Am I Said an. Das wäre doch vielleicht gar nicht mal so schlimm, würde er diese Karamellstreicher und Zuckerholzbläser weglassen? Warum, Neil Diamond? Hier einmal ein Vergleich: He Ain't Heavy He's My Brother von Herrn Diamond, und dazu eine wirklich sehr schöne Version von den Hollies.
Das ist schon sehr klebrig bei Neil Diamond, als würde er in diesem Lied eine kleine Schwarzhaarige ansingen, dass er sie leider, leider jetzt verlassen müsse wegen der kleinen Blonden, aber nicht persönlich nehmen, er muß einfach so!
Je länger man bei Neil Diamond reinhört, desto mehr fällt einem auf, was er alles nicht ist (Elvis, Sinatra, Scott Walker), und vielleicht ist das auch sein Problem. Einige Jahre später sang er den Soundtrack "Jonathan Livingston Seagull" ein, und diese Platte hat man öfter einmal in den Plattenschränken des gehobenen Bürgertums gesehen, Neil Diamond barfuß hockend im Sand vor Sonnenuntergang, wobei wiederum nicht klar war, ob die Platte der Tochter oder der Mutter gehörte (und wahrscheinlich ein Geschenk der jüngeren Tante war). Übrigens stand daneben auch Jesus Christ Superstar, später kamen die grüne Christopher Cross und Andreas Vollenweider dazu.
Jonathan Livingston Seagull ist der Soundtrack zu der Verfilmung der Möwe Jonathan von Richard Bach, und das ist jetzt etwas peinlich für mich. Ungefähr ein Dutzend Jahre später, zu Beginn der Achtziger, habe ich dieses Buch nicht nur gelesen, sondern war begeistert (ich habe es sogar zu einer Hochzeit verschenkt!). Es geht um folgendes: Die Möwe Jonathan ist anders als ihre Artgenossen, die nur fliegen um zu leben. Jonathan lebt um zu fliegen (argh). Er wird ausgestoßen, lebt als Möweneremit, stirbt, wird in einem Flugmöwennirvana wiedergeboren, um schlußendlich als Möwenprophet wieder auf die Erde zurückzukehren. Alles das hängt irgendwo zwischen Hermann Hesse und Saint-Exupery,als klebriger Existentialismus: du kannst alles werden, du kannst alles sein, wenn du es nur willst. Das ist für einen spätpubertierenden Jungen vom Rande des Ruhrgebiets natürlich hochgradig attraktiv. Man konnte sich sozusagen als begabter Möwenvogel vom Strand der Ruhr in den Sonnenuntergang abstoßen, in die hohen Lüfte aufsteigen und über Bochum, Herne und gar Schalke dahinschweben, natürlich bewundert von den Mädchen, die einem sonst mit dem Arsch nicht angeguckt hatten.
Immerhin habe ich dazu nicht Neil Diamond gehört. Übrigens kam es bei Neil Diamond noch in den Siebzigern zu einem seltsamen Ausflug in die Coolness, als er zum Abschiedskonzert von The Band, dem berühmten The Last Waltz, eingeladen wurde, da er ein guter Freund des Bandleaders war. Er singt da zwischen Joni Mitchell und Bob Dylan, was doch eine eigenwillige Zusammenstellung. Als würde Florian Silbereisen der Kapitän vom Traumschiff werden!
Später hatte ich mich dann auch zum schwarzen Existentialismus von Sartre, Camus und Kierkegaard vorgelesen: du kannst zwar alles werden oder sein, aber am Ende wirst du tot sein und deine Knochen bleichen im Sonnenuntergang. Das ist schon mal besser, und dazu Seventeen Seconds von The Cure.
Dauerbrenner der Woche: Hey Tonight, von den Schrecklichen
Rakete der Woche: Ginny komm näher als Re-Entry
Liebling der Woche: Funny Funny von The Sweet (unexistentialistisch!)
Freitag, 18. Juni 2021
Nr. 34 vom 17.6.1971 oder Hinter der Drehscheibe die Gedächtniskirche
So, und hier ist die aktuelle Top 20 auf Youtube!
1971 und 1972 sind die beiden T.Rex-Jahre. Die Geburtsstunde des Glam Rock. Bandgründer Marc Bolan hatte zunächst die verpeilte Vorgänger-Combo Tyrannosaurus Rex gegründet und schließlich im Lauf des Jahres 1970 auf T. Rex gestrafft. Dort machten sie den merkwürdigen, rifforientierten, aber flachen Transistorradiosound der Gruppe nicht nur berühmt, sondern überberühmt - das Jahr der Bolanmania.
Man sieht auch recht schnell, woran das eigentlich liegt: Bolan sah besser aus als die anderen zotteligen Hippies jener Zeit und konnte sich ausgezeichnet bewegen und posen. Den Perkussionisten Mickey Finn hatte er hauptsächlich eingestellt, weil der auch gut aussah und eine schicke Triumph 650 fuhr. Überzeugende Gründe. Faszinierend an den Bolan-Aufnahmen ist ja nicht nur, dass er gut aussah, sondern dass er auch gut aussehen wollte. Schaltet mal in eine Beat-Club- oder DISCO-Sendung hinein, es ist wirklich verblüffend, was für eine Rampensau dieser Marc Bolan gewesen ist. Das Revival von T.Rex (das ich schlampig einmal auf die Jahrtausendwende einschätze) dürfte einfach aus diesen Gut-Ausseh-Gründen stattgefunden haben.
T. Rex beherrschten 1971 und 1972 die Welt, mit rund 10 Top10-Singles. Und dann ist es Anfang 1973 einfach vorbei, als hätte man eine Kerze ausgeblasen. Nicht, dass Glam vorbei war: die Konsorten von Slade und Sweet schafften es noch mehr als ein Jahr länger.
Marc Bolan mußte allerdings noch 3 Jahre seines Niedergangs mitansehen, bevor er dann bei einem Autoanfall starb (nicht mal mit 27, sondern mit 29). Übrigens lebt kein einziges der Bandmitglieder mehr. Einer starb, als er sich an einer Cocktailkirsche verschluckte. Das ist ja fast ein T-Rex-Fluch. Die Beatles haben immerhin noch 50% lebend durchgebracht!
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Kommen wir zu einem anderen lässigen Star jener Tage, allerdings auf eher regional-übersichtlichem Niveau: Ricky Shayne mit Ginny Komm Näher auf der 15. Hier gibt es einen der tollen Drehscheiben- Filmchen, den die Drehscheiben-Redaktion offenbar aus Langeweile zu einzelnen Musikstücken gedreht hat, es sei denn, das Musikstück war von Reinhard Mey, weil der immer im Studio war.
Das Filmchen ist vor dem Europa-Center in Berlin gedreht worden. Ricky Shayne gibt sich nicht einmal groß Mühe, Singen vorzutäuschen, sondern er unterschreibt lieber Autogrammkarten und hat sein Hemd ziemlich weit offen. George Albert Tabett (so heißt er merkwürdigersweise) war immerhin schon einige Jahre lang kleinbekannt, um mit Ginny komm näher mittelbekannt zu werden. Damit war die Reise allerdings noch nicht zuende, denn später im Jahr wurde er in Deutschland sogar großbekannt. Mamy Blue wird uns später in diesem Jahr noch ereilen. Es ist eines meiner wichtigsten Kindheitsohrwürmer. Man kann ja als Kind nicht viel dafür, was man als Ohrwurm angeboten bekommt, und für mich war es eben Oh Mamy, oh Mamy Mamy Blue.
Wobei ich nicht sicher bin, ob es die englische Coverversion von Pop Tops gewesen ist, oder das deutsche Cover von Ricky Shayne. Wir werden diese Frage auf d en Oktober verschieben! Zurück zu Herrn Tabett. Er durfte in einem Film mit Rudi Carrell und Ilja Richter mitspielen, unter dem Rollennamen Ricci Sporetti (!). Nach Mamy Blue begann sein Weg sich wieder nach unten fortzusetzen, zuerst mit mittelgroßen Hits, dann mit Kleinhits. Hier ein bemerkenswerter Clip aus der Hitparade, von 1975, mit Umhang und Pali-Tuch, und er sieht schon ein bißchen fertig aus, so wie Elvis auf den letzten Metern. Und das Lied "Abschied" (sic!) interpretiert er, als müsse er gerade Drillinge gebären. Bemerkenswert!
Erst 2019 hat ein gewisser Stephan Geene eine sechsteilige Serie für die Berlinale über Ricky Shayne gemacht. Leider ist nur eine Folge im Netz verfügbar; und ja, das ist Ricky Shayne heute, eine wahrhaftige Verwandlung, mein lieber Scholli.
drehscheibe. Quelle: ZDF, wikipedia |
Nochmal zur Drehscheibe. Die
Drehscheibe lief immer. Zweites Programm, von zwanzig vor sechs bis zwanzig
nach sechs. Man guckte Drehscheibe nur, wenn auf dem Ersten es noch
langweiliger war (was gut möglich war). In der Drehscheibe gab es nicht nur
Unterhaltung, sondern auch Berichte. Über dies oder das. Eine neuer Kanal.
Einweihung einer Düngemittelfabrik. Ein Autotest. Ich glaube fast, alles Öde
und Langweilige, das die fleißigen ZDF-Reporter produzierten, wurde in der
Drehscheibe abgeladen. Und natürlich Fernsehkoch Max Inzinger, der ebenso
langweilige Sachen kochte (Rhabarber-Zwiebel-Kompott).
Bis zum nächsten Mal!