Zunächst eine
Korrektur: wir hatten ja immer von „Wochen“ gesprochen; da die Hitparade aber
nur alle zwei Wochen erschien, war die Goldene-20-Woche also 14 Tage. Wir haben
das heute einmal korrigiert. Bald – also zu Beginn des Jahres 1971, stellte man
übrigens auf wöchentliche Charts um. Wir denken, dass wir dieses kleine Projekt
durchaus noch eine kleine Zeit werden fortsetzen können, aber jede Woche werden
wir nicht schaffen. Insofern werden ein klein wenig umbauen müssen. Den Fehler
mit den „Wochen“ ist jetzt schon ausgemerzt. Und hier ist die Playlist aufYoutube.
Übrigens möchte
noch etwas zur letzten Ausgabe nachtragen. Wir hatten nachlässig aus dem
Handgelenk formuliert, dass die 80er wohl das lange 19. Jahrhundert der
Popmusik seien. Doch mal etwas genauer: Als 1789 hatten wir uns die erste Joy
Division von 1979 gedacht, als 1914 die Nevermind von Nirvana von 1991. Ich
glaube aber, genau so richtig wären Parallel Lines von Blondie (1978) am Anfang
und vor allem auch Blue Lines von Massive Attack am Ende (auch 1991, danke
Maki), zumal dann Heart Of Glass und Unfinished Sympathy sehr schöne Ecksteine
der Dekade bilden und man sich das mit den parallelen blauen Linien auch gut
merken kann.
Klar ist aber,
dass diese 80er länger dauerten, als ihnen als Dekade eigentlich zehnjährig zusteht,
genau wie das 19. Jahrhundert ziemlich genau 125 Jahre dauerte. Und mit dem
historischen 19. Jahrhundert teilen sie eine Überfülle, ein Ziemlich-viel-drüber-sein,
die und das irgendwann in sich zusammenfiel.
Aber wir
stecken ja hier 10 Jahre früher im Jahr 1970. Es ist interessant zu sehen, wie sich
in dieser die Popmusik langsam auseinanderklappt in ganz verschiedene Szenen,
Disziplinen, Spielarten, Moves & Styles. Gewiß hat es die Varianten schon
in den Sechzigern gegeben (Soul, Folk, Psychodelia), aber das waren immer noch
verschiedene Straßen im selben Stadtviertel, wohingegen in den Siebzigern die
Musik verschiedene Stadtviertel in derselben Stadt sein wird. Wir ergänzen
ungern, dass später (vielleicht gerade nicht in den 80ern) es verschiedene
Städte in vielleicht demselben Land sein werden, und zur heutigen Musik müssen wir
allenfalls zugeben, es seien verschiedene Galaxien im selben Arm der
Milchstraße. Dabei – und das fasziniert uns wirklich – hört man die Ähnlichkeit
oder Unähnlichkeit erst viel später, und man muß eine Dekade erst einmal eine
weitere Dekade ruhen lassen, bevor man hört, wie sie sich angehört hat. Ich
glaube, ich weiß auch erst seit ein paar Jahren, wie die Neunziger klangen, da
man den Wald erst sieht, wenn man aus ihm herausgetreten ist.
Das soll jetzt
aber nicht zum Mißverständnis führen, es hörte sich alles aus dieser Zeit
gleich an. Interessanterweise wird das Argument, es hörte sich alles gleich an,
meistens auf die Gegenwart bezogen. Joachim Hentschel von der SZ hat am
Wochenende darüber geschrieben, und er berichtet über den Toningenieur Rick
Beato, der sich über die Gegenwart beschwert:
„Ältere
Menschen hassten es, analysierte er, dass fast alle neueren Popsongs im selben
Tempo laufen, mehr oder weniger dieselben Klangfarben und Effekte benutzen und
dazu sehr simple, sich ständig wiederholende Harmoniefolgen, kaum Dynamik und
digital gleichgemachte Singstimmen haben…. Gut, darauf wäre man auch so
gekommen. Allein deshalb, weil es im Kern immer noch dieselben, feuerfesten
Argumente sind, mit denen schon Eltern in den Sechzigern ihren Kindern die
Beatles madig gemacht haben, und mit denen diese Kinder dann, in den
Neunzigern, die eigenen Töchter und Söhne für blöd erklärten, weil sie zu
Technomusik tanzten.“
Den
interessanten Artikel dazu, witzigerweise über Miley Cyrus, gibt es hier.
In der Vergangenheit kennt man eben die Gegend besser, was es vereinfacht, sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten herauszuhören. Um die Unterschiede zu hören, sollten wir uns einmal umd das Gemeinsame dieser Stadtviertels bemühen, wie es sich 1970 angehört hat. Tatsächlich gibt es einen gemeinsamen Nenner, der gar nicht mal so klein ist: die klassische Band-Besetzung mit 2 Gitarren, Bass, Schlagzeug, dazu gerne ein Piano oder auch eine Orgel. Schrammelige Rhythmusgitarre, ein strikter 4/4-Takt, dreiteiliger Refrain-Strophe, und wenn es hochkommt noch eine Bridge dazwischen. Dazu: Bass und Schlagzeug sind ineinandergemischt und ergeben ein generell diffuses, verwaschenes Klangbild, höchstens einmal versetzt mit einem Slide-Gitarrensolo wie ein Ameisenstich. In dieser Woche etwa zu hören bei CCR, Dawn, Christie, Rattles, Tremeloes, Neil Diamond. Bei der Hitparadenware gerne dazu mal Orchester und/oder Bläser, aber eigentlich nur für die Klangfarben (Dawn, Neil Diamond).
Natürlich ist nicht alles gleich, logisch, hört etwa mal den Bläsersatz bei Edwin Starr, damit kann man Aluminium schweißen.
Die Miley Cyrus der Siebzigerjahre (Quelle: Melody, youtubewatch?v=28ighMrwydA) |
Fast alle
englischsprachigen Lieder folgen dem Schrammel-4/4-Waschküchenschema, und der
Gesang liegt dann lässig darin wie die Marmelade in der Butterkrem. Das ist
auch der Unterschied zum Schlager: da wird ebenso im Hintergrund geschrummelt,
aber Stimme und vor allem Backgroundsänger extrem nach vorne gemischt, also
eher die Kirsche auf der Torte (hört als Beispiel einmal Daliah Lavi). Das war übrigens in den Sechzigern ähnlich: gerade die frühen Beatles-Lieder
beruhen auf einen extrem nach vorne gemischten Gesang inklusive Chorus, aber halt
eben mit weniger Geschrammel und ohne Waschküche. Bei Dire Straits, die auch in
den Schrammelsiebzigern großgeworden sind, haben sie den Schrammelgitarristen
(ausgerechnet Mark Knopflers Bruder) nach zwei Platten rausgeschmissen und dann
festgestellt, dass er völlig überflüssig war (so fehlt etwa bei Romeo &
Juliet die Schrammelgitarre im Hintergrund).
Dieses Zusammenschmieren
von Rhythmus, Melodie, Gesang ist auch einer der Gründe, warum der
Siebzigerjahre-Sound so berüchtigt ist, und deshalb sind viele von T.Rex und
den frühen Roxy Music erst einmal enttäuscht: was für ein komischer Sound! Und
die sollen cool sein? Kennt ihr diese Gesteckschwämme aus grünem Blockschaum? Ein
altes, faul riechendes Stück Blumenschwamm, das man im Keller gefunden hat –
das ist der Sound der 70er. Die 80er hingegen klingen nach buntem, glattem
Plastik, und erst die 90er klingen akzeptabel genug, wie man sich das
anständiger Plattenhörer aus den 20ern des Nachfolgejahrhunderts so vorstellt.
Ich möchte aber
dem Einwand begegnen, wir würden die 70er doch arg zu sehr dissen und
eigentlich gar nicht mögen. Ja, nein, vielleicht, möglicherweise. Es ist die Erkenntnis,
dass die Musik einer Zeit immer gleich gut oder gleich schlecht ist, man es
aber nicht immer sehen kann, in der eigenen Zeit sowieso nicht, aber auch oft
später nicht, weil man vor dieser Zeit, dieser Musik ein großes Möbelstück nicht
weggeschoben bekommt. Wir werden das natürlich alles ganz genau weiter
beobachten! Mit Euch zusammen! Schönen 1. Advent!
Rakete der Woche: Desmond
Decker mit +11
Veteran der Woche: Der ewige Condor
12 Apps = 24 Wochen = so alt wie die Anden
Liebling der Woche: Mireille
Mathieu weil das so schön dreckiger Punk ist, himmelblaaaaaaaau, da kannste dir
noch eine Oktave abschneiden, Miley