Ich hatte es ja
schon befürchtet: jetzt haben wir El Condor Pasa so richtig an der Backe. Ich
wage auch gar nicht auf den Anfang August zu gucken, weil ich das nie mache,
weil das wäre ja sozusagen Retroprophetie. Ich meine, es kann ja nicht ewig
dauern.
Etwas anderes
ist viel trauriger: auf Platz 19 schleichen sich die Beatles aus den Top 20.
Ich halte es nicht ausgeschlossen, dass ein Titel zu irgendeinem Revival oder
anderen traurigen Anlaß noch einmal in die Top 20 kam, aber eigentlich war es
das. Von Nr. 1 grüßt der neue Kondor, und Mother Mary verläßt die Party. Man
hat den Beatles auch schon damals sehr hintergejammert, aber das war genau so,
als würden sich heute – ja, wer eigentlich? das Zeitalter der Bands ist ja
mindestens 10 Jahre vorüber – beispielsweise Coldplay trennen, oder die Pet
Shop Boys. Schade, ja, aber weiter im Text. Man ahnte damals natürlich nicht im
geringsten, dass kaum noch etwas so Großes nachfolgen würde. Vielleicht noch
Abba, aber die hatten nicht die richtige street credibility. Michael Jackson?
Sagt nichts!
Unabhängig von
unserem Beatles-Abschied können wir doch einmal ein wenig in die Literatur
schlendern. Hier die SPIEGEL-Bestseller vom 15.7.1970:
Quelle: DER SPIEGEL 29/1970 |
Simmel auf
Platz 1! Das ist allerdings ein bißchen mehr STERN als SPIEGEL. Die
Simmel-Bücher, mit ihrem bunten Pinsel-Lettering des Titels, sind mir auch schon
als Kind geläufig gewesen. Jimmy und der Regenbogen ist übrigens schon im
folgenden Jahr verfilmt worden, und es gibt einen wunderbaren Trailer auf youtube dazu.
Jimmy war
übrigens lange Zeit Nummer 1, mit einer kleinen Unterbrechung von März bis
September. Es gibt wirklich nur sehr wenig, das so bundesrepublik ist wie
Johannes Mario Simmel. Es muß nicht immer Kaviar sein, Lieb Vaterland magst
ruhig sein, Mit den Clowns kamen die Tränen, Der Stoff aus dem die Träume sind
usw. usw.
Quelle: amazon/Droemer Knaur |
Aber ernst genommen wurde Simmel nie. Genau so wenig wie Udo
Jürgens. Simmel war zwar nicht so ganz trashig wie Konsalik, aber natürlich
nicht so intellektuell wie Peter Handke, den wir auf Platz 4 finden. Das habe
ich übrigens auch einmal gelesen und fand es scheußlich langweilig. Peter
Handke und ich sind sowieso noch nie richtig zusammengekommen, obwohl ich ihm
öfter einmal eine Chance gegeben habe. Aber ich finde, Peter Handke schreibt
eigentlich immer nur für Peter Handke. So ähnlich wie Martin Walser immer nur
über Martin Walser schreibt.
Simmel fängt an mit: „Sie wollten unbedingt einen Kopfschuß.
Deshalb hatten sie Clairon kommen lassen. Er war Spezialist für Kopfschüsse.“ Handke
fängt an: „Dem Monteur Ernst Bloch, der früher ein bekannter Torwart gewesen
war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, daß er
entlassen sei.“ Ok. Simmel will dich als Leser, Handke will sich vorstellen,
wie er in einer Lesung sogar gleich zwei kunstvolle Schaltpausen in seinem Satz
macht, wurde, mitgeteilt. Es wäre doch auch einfacher gegangen: „Sie wollten
unbedingt einen Torschuß“.Ich glaube, Handke müßte Bassist bei Creedence
Clearwater Revival werden, sollen.
Papillon habe ich übrigens auch gelesen, sogar zweimal. Das
sind ja so die Bücher, die man früher auf Flohmärkten gefunden hat, in der
Kiste der letzten Hoffnung, für das Stück 2 Mark. Papillon, Simmel, der Pate.
Alles da.
Interessant auch die Sachbücher. Auf Platz 4 das Werk zu „Eltern
entdecken die neue Mathematik“ (übrigens auch wieder Droemer Knaur). Der Punkt war
nämlich, dass man die Mengenlehre auf die Lehrpläne der Kinder gesetzt hatte
und die Eltern uns das nicht erklären konnten, weil sie das nie gelernt hatten.
Quelle: amazon/Droemer Knaur |
Ich weiß auch noch, wie ich als Kind diese Mengenlehre
irgendwie blöd fand. Man konnte nichts richtig ausrechnen, und man hatte die
ganze Zeit den Eindruck, es sollte einem hier etwas erklärt werden, was ohnehin
schon völlig klar war. Mengenlehre war etwas für Handkeleser. Ich war da eher
für Simmel. Sie wollten unbedingt einen Kopfrechner.
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Ich habe übrigens festgestellt, jahrzehntelang Howard
Carpendales Mädchen von Seite 1 mißverstanden zu haben. Es geht keinesfalls um
das Mädchen von der BILD-Zeitung oder von der TV Hören und Sehen, sondern es
geht um ein Versandhandelskatalogtitelmädchen, was auch diese Zeilen erklärt: „Oh,
schickt mir nicht Gardinen, und keine Nähmaschinen, und keine
Filzpantinen.“ Klar, denn er will nur das Mädchen von Seite 1. Das war
übrigens sein zweiter Hit in Deutschland. Sein erster Hit war Obladi-Oblada,
womit sich wieder alle Kreise schließen.
Rakete der Woche: In The
Summertime von Mungo Jerry
Veteran der Woche: genau wie
letzte Woche: Let It Be, House of the rising Sun und Bridge over troubled Water
Liebling der Woche: Das schöne
Mädchen von Seite 1!