Donnerstag, 18. März 2021

Nr. 28 vom 18.3.1971 oder Alles rote Rosen regnen mir auf Erden



Na, so ganz, ganz langsam beginnt My Sweet Lord doch ein bißchen zu nerven. Jetzt ist es schon seit Januar auf Platz 1. Ich fürchte allerdings, es wird uns noch einige Zeit begleiten. Genau wie das unsägliche Hey Tonight wieder auf Platz 2. Man beachte, dass die ersten 9 Plätze seit letzter Woche nur Plätze umeinander getauscht haben. Ist das etwa frühlingshafte Lebendigkeit, 1971? Hier der youtube-Link der Top 20.

Bei Ramona - sie heißt eigentlich Ramona Wulf - ist "Alles was wir wolln auf Erden" übrigens der einzige Superhit. Jetzt gerade ist Ramona auf dem Scheitelpunkt ihres Ruhms, aber sie weiß natürlich gar nichts davon, dass es nicht weiter aufwärts gehen wird. Eigentlich! 

Dafür sollte man zuerst ihren Clip zu Alles was wir wolln auf Erden anschauen, in dem sie einem altrosa Kleidchen und weißen Kniestrümpfen an einem See hyperaktiv herumhüpft. 

Das Lied tauchte dann auch im Film Tante Trude aus Buxtehude auf, in der die üblichen Verdächtigen die Hauptrollen spielten: Ilja Richter, Rudi Carrell, Theo Lingen und Chris Roberts. Hier ist das Lied im Trudenfilm, da ist Ramona ebenfalls hyperaktiv in einer Gaststätte.

Ab Minute 0:40 muß sie dann Rainer Basedow ansingen, und ihr Unbehagen ist schier mit Fäusten zu greifen. Basedow war zu diesem Zeitpunkt gerade mal 32 Jahre alt. Manchmal verblüffend, wie alt früher die jungen Leute waren. So, Schnitt, einige Jahre später, ein weiterer Ausschnitt mit der Silver Convention, und schaut mal hin, wer da in der Mitte singt, genau, Ramona:

Fly Robin Fly, ist übrigens eines der wenigen Lieder, von denen ich den Gesamttext auswendig kenne (Fly Robin fly, up up to the sky). Und es hat es tatsächlich an die Spitze der US-Charts geschafft! Das ist natürlich fett. Und die maximale Entfernung zu Tante Trude aus Buxtehude, die man im Leben so schaffen kann. 

Ebenfalls bemerkenswert: Ramona ist 1964 ein Opfer der Hanauer Granatenkatastrophe. Ein Mitschüler namens Rudolf Pospiech (so hießen Kinder damals) hatte auf dem Schulweg einen kleinen goldfarbenen Zylinder gefunden, in die Schule mitgebracht und auf dem Pausenhof herumzeigt. Leider handelt es sich um eine amerikanische Sprenggranate, die auch noch losgeht. 55 Kinder werden verletzt, und durch ein Wunder keines getötet. Ramona erhält zwei Splitter ins Knie.

Mittlerweile ist Ramonas Karriere vollständig ausgeplätschert, sie ist später Heilpraktikerin geworden (sie ist ja jetzt erst gerade mal 66!)

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Ich habe einmal wieder in den SPIEGEL geschaut, vom März 1971. Wenden wir den Blick einmal von der Musik, die damals gehört wurde, zu den Büchern der Zeit:

Spiegel Beststellerliste März 1971. Quelle: Der SPIEGEL


Auf Platz Nummer 1 steht Der geschenkte Gaul von der Knef. Als der von mir sehr geschätzte Literaturwissenschaftler Michael Maar (geschätzt schon allein deshalb, weil er dasselbe wie ich dufte findet) jüngst in seinem übrigens sehr lesenswerten Kompilationsbuch "Die Schlange im Wolfspelz" den geschenkten Gaul angelegentlich empfahl, habe ich es mir antiquarisch angeschafft. Der Gaul rockt die Leseliste von 1971 El-Condor-Pasa-artig, und vielleicht können sich ältere Flohmarktbesucher erinnern, dass in den Bückkisten auch immer der Geschenkte Gaul zwischen C.C. Bergius und H.G. Konsalik klemmte. Hildegard Knef hat übrigens so viele Lesereisen gemacht, dass es gar nicht so einfach ist, ein unsigniertes Exemplar zu bekommen.

Nicht geschenkt, aber bei ZVAB gekauft

Das schauspielerische Werk von Frau Knef war mir weitgehend unbekannt, das sängerische Werk würde ich eher als zwiespältig einordnen, wenn auch Für mich solls rote Rosen regnen wirklich ein krass sensationelles Stück ist: 

Mit sechzehn sagte ich still, ich will,  will groß sein, will siegen, will froh sein, nie lügen,  mit sechzehn sagte ich still, ich will,  will alles, oder nichts.

Allein die Geigen am Anfang! Vom Orchester Hans Hammerschmid, der auch Co-Autor des Stückes ist. Herr Hammerschmid ist berühmt und berüchtigt für ein anderes Stück: er hat die Titelmelodie der Schwarzwaldklinik kopiert (okay: er war alt und brauchte das Geld).  Für mich solls rote Rosen regnen ist allerdings ein wirkliches Meisterstück, haargenau auf die Knef. eingerichtet und später auch - schadet ja nüscht - zu einer queeren Hymne geworden. Aber zurück zum Gaul, denn Michael Maar hat wirklich recht, denn es ist wirklich sehr super. Es ist jetzt völlig anders, als ihr euch jetzt die Dicke-Wimpern-70er-Jahre-Knef vorstellt. Es ist nicht so, als wäre sie schonungslos sich selbst gegenüber oder ihren Liebsten, im Gegenteil hat man den Eindruck, sie schummelt ein bißchen zu Hildes Gunsten. Aber die Qualität ihres Schreibens, ihre szenisches Talent, ihr eidetisches Gedächtnis, ihre Neugier und Schnoddrigkeit, das hat kein bißchen Staub angesetzt und liest sich 2020 genau so fluffig und luftig wie früher. Hildegard Knef hat die Gabe, in ein, zwei Strichen Personen zu zeichnen (sie war als junge Dame übrigens in der Ausbildung zur Trickfilmzeichnerin) und in einem halben Satz eine ganze Situation dick einzukochen. Lest das mal, ihr werdet überrascht sein, wie gut es ist. 


Dauerbrenner der Woche: Song Of Joy mit 32 Wochen

Rakete der Woche: She's A Lady von Tom Jones

Liebling der Woche: natürlich Ramona!