Donnerstag, 4. März 2021

Nr. 27 vom 4.3.1971 oder Auf der Schaduwzijde des Bahnhof Zoo

  


Da sind wir wieder! Mit den aktuellen deutschen Top 20 vom 4.3.1971.

Wir haben lange nicht über Addy Kleijngeld gesprochen! Aber jetzt ist endlich wieder Heintje in da house, und zwar mit Schneeglöckchen im Februar Goldregen im Mai. Addy hatte auch noch eine kleine Nebenkarriere als Akkordeonist, etwa hier.

"Das klingt ja scheußlich", werdet ihr rufen und ihr habt recht. Es gibt auch eine umfangreiche Addy-Fanseite (http://www.addykleijngeld.nl/), auf der man etwas zwiespältig ist bezüglich der Heintjekarriere, die Addy Kleijngelds Aufstieg in den Akkordeonolymp doch etwas behinderte. "Het Sucess en de schaduwzijde" heißt es dort, und ich würde das mal einfach übersetzen in "Der Erfolg und die Schattenseiten". In dem Video sitzt Heintje  auf einer Eismaschine (!) in einem wirklich extrem roten Pullover (!) und schmettert sein Liedchen heraus. Heintje ist fast 16. Und uns ist klar, dass man mit 16 nicht mehr nur an Schneeglöckchen interessiert ist (und auch nicht an Goldregen).

Es war auch der letzte große Hit für Heintje, und Hein Simon hatte gar keinen mehr. Ja, das sind die Schaduwzijden!

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Schon seit 10 Wochen in der Hitparade, und letzte Woche knapp an der 1 gescheitert: Hier ist ein Mensch von Peter Alexander. Das Lied hat einen verblüffend progressiven Text. 

Kennst du seinen Namen? Seinen Namen kennst du nicht Sieh zu ihm hinüber und dann kennst du sein Gesicht Hier ist ein Mensch schick ihn nicht fort Gib ihm die Hand schenk ihm ein Wort Hier ist ein Mensch der will zu dir  Du hast ein Haus (du hast ein Haus) öffne die Tür

Komponiert haben die Angelegenheit Jonny Halvey und Mike Doven, die eigentlich Kurt Felz undWerner Scharfenberger hießen, und abgesehen hiervon fast nur noch durch Immer wieder sonntags in Erscheinung getreten sind. Der Kabarettist Wolfgang Gruner hat daraus ein scheußliches Sauflied über einen heimkehrenden Trunkenbold gemacht, so in der Richtung Didi Hallervorden und Frank Zander (wobei ich auf den letzteren nichts kommen lasse).

Wobei ich mir ehrlich gesagt gar nicht so sicher bin, wie Hier ist ein Mensch jetzt eigentlich gemeint ist. Die "Gruppe Arnold Hau" aus der Neuen Frankfurter Schule hat tatsächlich schon 1972 ein Video dazu gedreht https://www.youtube.com/watch?v=np0AJzUwo88 , das - geben wir es offen zu - etwas merkwürdig ist. Es ist sogar sehr, sehr merkwürdig.  

 

Noch einmal ein weiterer Nachtrag zum Herumtanzen in den Siebzigern, von letzter Woche: mit Interesse verfolge ich die aktuelle Serie Wir Kinder vom Bahnhof Zoo von Phillip Kadelbach und Oliver Berben et. al. (auf amazon). Die Serie versucht einerseits, historisch akkurat zu sein, auf der anderen Seite gibt es immer wieder Elemente im Sinne eines magischen Realismus, welche die Handlungszeit sozusagen auflösen (um es nett zu sagen).

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo, eigentlich 1976, oder auch 2020

Das betrifft auch das Herumtanzen in der legendären SOUND-Disko. Ich kann mir vorstellen, es war schier unmöglich, 100 oder 200 Tanzstatisten zu finden, die so tanzen wie 1976. Also läßt man sie tanzen wie im Jahr 2020. Sie haben die richtige körperliche Elastizität, sie benutzen ihre Arme auch über dem Kopf. Wenn sie aber wie 2020 tanzen, brauchen sie auch die richtige Musik dazu, und deshalb wird im SOUND Techno aufgelegt. Das führt zu fast schon skurrilen Verläufen, wenn Christiane F. aus ihrem 1976-Gropiusstadt in ein Berghain-SOUND geht und anschließend wieder auf der 1976-Kurfürstenstraße steht. Vielleicht hätte man es noch härter machen können und sie auf einem 1929-Babylonberlin-Kudamm landen lassen können? Oder im SOUND Beethoven-Sonaten spielen lassen? Man weiß es nicht! 

Verblüffend wird sein, wenn man sich dieses 2020-Bahnhof Zoo z.B. einmal 2040 angucken wird. Diesen Effekt hatte ich kürzlich, als ich einmal mal wieder Sergio Leones Es war einmal in Amerika angeschaut habe. Handlungszeit ist dort bekanntlich 1922, 1932 und 1968. Ich habe allerdings selten einen Film gesehen, dem man die Achtzigerjahre so dermaßen ansieht, und zwar 1922, 1932 und 1968 (dort am meisten!) Große Maler haben damals ja auch umstandslos ihre Trachten des 14. Jahrhunderts an die Heilige Familie des 1. Jahrhunderts drangemalt. Und so verhält es sich dann auch mit den neuen Kindern vom Bahnhof Zoo (der nicht einmal richtig mehr Bahnhof ist).

 

Dauerbrenner: A Song Of Joy mit 31 Wochen
Rakete: Alles was wir wolln auf Erden von Ramona +8
Liebling: Hier ist ein Mensch! Öffne die Tür!