Freitag, 30. Juli 2021

Nr. 37 vom 29.7.1971 oder Zwölf Knöpfe für ein Halleluja

 

 

Aufmerksame Leser der Goldenen 20 werden bemerkt haben, dass nicht nur Nr. 1 Butterfly oben festgenagelt ist, sondern auch seit 6 Wochen Nr. 2 Chirpy Chirpy Cheep Cheep und Nr. 3 Hot Love. Ein bemerkenswertes 3-Lieder-Kartell, und ich bin sicher, dass es das vorher und nachher nie gegeben hat, wie drei Lieder dort oben unverändert von der Spitze grüßen. Hier die You-Tube-Playlist.

In der Mitte der Hitparade gibt es einen lustigen Zungenbrecher. Luft holen und los: Die Lieder Monika von Ulli Martin, Meilenweit von Martin Mann und Fremder Mann von Marianne Rosenberg liegen auf den Plätzen 11, 12, 13. Welche Fügung der Zeitläufte! Heute werden wir uns erst einmal um Ulli Martin kümmern!

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Ulli Martin heißt eigentlich Hans Ulrich Wiese und gehört zu den Schlagersängern, die es so halb geschafft haben. Halb heißt: nicht in die Michael-Holm-Chris-Roberts-Howard-Carpendale-Klasse. Also die nicht erst in den Achtzigern zur Möbelhauseröffnung singen mußten, sondern schon in den Siebzigern, als der große Hundsstern des Schlager noch gleißend über uns stand.

Frisur wie ein Stückchen Schokoladenkuchen: Ulli Martin

Aber hört mal seinen größten Hit sorgfältig an. Das ziemlich scheußliche Lied hat eine Eigenart, die meiner bescheidenen Meinung nach sich erst später durchsetzte, und dort vor allem bei der sog. volkstümlichen Musik: der Hintergrundchor ist unisono auf den Refrain gesetzt, zusammen mit dem vollen Blech. Das erzeugt die Illusion gemeinschaftlichen Mitsingens, gerade wenn die vorgehende Strophe nur solo gesungen wird. Die Hymnenartigkeit von "Monika" liegt allerdings auch im Original begründet, das "Moja strana, moja bulgaria" und bei dem das Moja Bulgaria so wie Monika geschmettert wird. Dazu habe ich diesen obskuren Clip gefunden, mit der angeblichen Sängerin Krisia Todorova: Sagt mal: das ist doch Karaoke, oder? Die Stimmlage der Sängerin ist eher Mezzo in Richtung Alt, aber doch nicht von einer Zehnjährigen? Rätselhaft.

Zurück zu Ulli Martin. Seine Garderobe fällt auf. Im Monikaclip hat einen Anzug wie der zweite böse Zauberer aus einer Kinderoper. Apropos Anzug: Er hat in einem Interview erzählt, wie er sich für sein Schlagerstarleben einen besonderen weißen Anzug hat schneidern lassen: "Zwölf Knöpfe auf jeder Ärmelseite, zwölf hier links, zwölf da rechts, aber nur einer vorne am Sakko." Schick!  "Ich war der Erste!" fährt er fort, "ich hab' in der Hitparade als erster Sänger den Anzug eingeführt. Hängt übrigens noch heute bei mir im Zimmer. Falls eine Millionärin Interesse hat: Kann sie ersteigern." 12 Knöpfe auf jeder Ärmelseite! Und einen einzigen Knopf in der Mitte! Den Anzug kann man hier sehen, beim Ich-träume-mit-offenen-Augen-von-dir ebenfalls in der Hitparade.

Der Ärmel mit den 12 Knöpfen Quelle: ZDF Hitparade

Das Interview hat Ulli Martin dem Straßenmagazin "Hempels" gegeben. Er lebt in einem mittlerweile Pflegeheim in Bad Bramstedt, hat einen amtlich eingesetzten Betreuer und bekommt 111 € Taschengeld im Monat. Viel ist passiert, und zwischendrin nicht so viel Gutes. So sieht er heute aus, immer noch mit einem prägnanten Geschmack für Oberteile:

Ulli Martin, später. Quelle: Stadtmagazin Hempels 2018

Ich stelle mir vor, wie Ulli Martin, geboren Hans Ulrich Wiese, manchmal, am frühen Abend, in seinem Zimmer im Pflegeheim in Bad Bramstedt seinen weißen Anzug aus dem Schrank nimmt, das Sakko vom Bügel streift uns sich die Jacke überzieht. Und dann mit den Händen über die 12 Knöpfe streicht, 12 links, 12 rechts. Vielleicht denkt er darüber nach, wie so alles gekommen ist. Wie viel doch falsch gelaufen ist. Aber wie er auch mal ziemlich weit oben gewesen ist, und wenigstens das wird ihm keiner mehr nehmen können. Nie.

 Dauerbrenner der Woche: Abraham von Wolfgang, 16 Wochen

Rakete der Woche: Monika von Ulli Martin

Liebling der Woche: Natürlich auch Monika von Ulli mit den 12 Knöpfen