Grand
Prix-Zeit! Falls es diesen Blog länger gibt, werde ich vielleicht einmal pro
Jahr eine Sonderausgabe für den Grand Prix Eurovision machen. Fangen wir doch heute
einfach mal an! Der Wettbewerb hieß 1970 genau so wie heute: Eurovision Song
Contest. Er fand schon am 21. März in Amsterdam statt, aber es braucht offenbar
einige Wochen, bis die Lieder in die Charts hineininfiziert sind. Immerhin haben
wir 3 Titel in den Charts aus dem Wettbewerb. Hier die Playlist der Top 20. Aber jetzt kümmern wir uns mal um den Grand Prix.
Es gab übrigens damals genau so viel Herumbasteln am Modus, Boykotte und
den ganzen üblichen Quatsch. Die nördlichen Ländern sowie Portugal und
Österreich schwänzten, so dass es gerade mal 12 Teilnehmer gab. Auch der
Austragungsort Amsterdam war lange kritisch gewesen, da es 1969 4 Sieger
gegeben hatte und man daraufhin den Modus änderte.
Im Netz gibt es eine komplette Aufzeichnung vom ESC Fanclub Thailand (!),
inklusive Eurovisionsfanfare und einer bizarren Eingangsanimation mit seltsamer
Musik, dann Amsterdam-Luftbilder, alles natürlich schwarzweiß. Dann öffnen sich
endlich die Tore zum Congrescentrum – und es ist so rührend, ein richtiges
Orchester dort zu sehen, mit anständig angezogenen Orchestermitgliedern. Tatsächlich
wurden ja alle Lieder live vom Orchester aufgeführt. Oh, würden die
Veranstalter einmal den Sieger von 2006 (Finnland) Lordi Rock’n’Roll Hallelujah
sich anschauen. Sie würden glauben, Außerirdische hätten die Welt erobert. Aber ok, was
dachten wir damals? Außerirdische haben die Welt erobert, und sie sind sehr
häßlich. Ich weiß noch genau, wie der legendäre Peter Urban damals immer
schweigsamer wurde, als sich die Punktevergabe zu den Außerirdischen neigte.
Zurück in unser schönes Jahr 1970. Die Eingangsmoderation wird von einer
riesig frisierten und sensationell aussehenden Holländerin gehalten, die einen
Namen hat, der eigentlich für eine riesig frisierte und toll aussehende
Holländerin etwas ungewöhnlich ist: Willy Dobbe. Ich meine, das ist doch eher
ein Name für einen Eisenwarenhändler oder so ähnlich: Willy Dobbe Stahlwaren KG.
Allerdings dauert die Eingangsmoderation nur genau 24 Sekunden und dann geht es
schon los. Die startenden Holländerinnen bestehen praktisch nur aus Haaren und
haben ein ausgesucht scheußliches Lied, und zack, weiter, Schweiz (langweilig),
zack, Einspiel, Italien (kann nicht singen). Dann aber: Slowenien, ein junges
Mädchen namens Eva Srsen aus Laibach in einem pfirsichfarbenen Kleid, die total
süß ist, und slowenisch so singt, als wäre es schwedisch. aber nur den
vorletzten Platz machte. Schiebung! Zack, Einspiel, Belgien; Frankreich etc.
Eva
Srsen: toll, aber chancenlos (Quelle: Eurovision Fanclub Thailand/Eurovision
Song Contest)
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Dann der haushohe Favorit Mary Hopkin. Sie macht eigentlich alles richtig mit Knock Knock und ihrem Karamellsopran, aber Those Were The Days ist wirklich sehr viel toller. Als Kind hatte ich übrigens davon die Single. Das eigentlich Verblüffende ist die Plattenfirma: Mary Hopkin gehört zu den ganz wenigen Acts der Plattenfirma Apple, die nicht Beatles waren. Was immer wieder etwas verwirrend ist, wenn man sich das Label anschaut, zumal wir ja auch noch Let It Be in den Charts haben.
Zweimal Apple, kein Smartphone |
Praktisch
alle männlichen Interpreten haben einen Anzug mit Fliege, alle Frauen ein
buntes Endsechziger-Kleid. Die Holländer machten mit
Drei-Frauen-mit-viel-Haaren eigentlich die Ausnahme. Dann kommt Spanien, mit
dem jungen Julio Iglesias in einem freibadblauen Anzug mit freibadblauer
Krawatte. Man merkt schon, dass er Talent und Stimme hat, aber ihm fehlt noch
völlig das Coole-Sau-Mäßige des mittleren Julia Iglesias. Der Zwang, in einer
Landessprache des Landes zu singen, führte übrigens bei 5 von 12 Interpreten zu
Französisch, und nur 2mal zu Englisch.
Ja,
und dann kommt Katja Ebstein, die tatsächlich dreimal teilgenommen hat und mit
zwei dritten und einem zweiten Platz mehr als respektabel abgeschnitten hat,
aber eben nie gewonnen hat. Übrigens war sie (da hieß sie noch Karin
Witkiewicz) eine Freundin von Benno Ohnesorg, der kaum drei Jahre vorher
erschossen worden ist. Katja Ebstein ist so ähnlich angezogen wie Julio
Iglesias. Und Wunder gibt es immer wieder ist ein echter Killer-Track, leidet
aber an der souligen, etwas leierigen Strophe. So etwas ist einfach zu
kompliziert für einen ESC. Und anschließend kommt mit Dana ein
Niedlichkeitstornado aus Dublin mit All
Kinds Of Everything, mit einer Vanessa Paradis-Zahnlücke. Bis auf Katja Ebstein
waren fast alle Frauen vor allem niedlich, seltsam eigentlich, so kurz nach
1968. So, jetzt haben alle
gesungen, und es sind nicht einmal 50 Minuten vergangen. Die merkwürdige
Studiodeko aus Bögen und Kugeln wird verändert, Tanzschulenauftritt.
Eigentlich
kein Superfavorit, ich fand am besten Jugoslawien, England, Irland und
vielleicht noch Monaco. Mal sehen, was passiert.
Mal
ehrlich: hättet ihr gedacht, dass diese Dame „Willy Dobbe“ heißt? (Quelle:
Eurovision Fanclub Thailand/Eurovision Song Contest)
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Dann
kommt endlich wieder Willy Dobbe mit ihrer schönen Frisur. Jetzt weiß ich auch,
woran sie mich erinnert: Dusty Springfield in der Dusty-in-Memphis-Zeit. Die
ziemlich lausige youtube-Kopie des ESC-Fanclub Thailand (!) wird jetzt farbig
und Willy macht das mit Royal-Unie doze points wirklich ganz fabelhaft. Außerdem
hat sie ein Kleid mit silbernen Kugeln, was beim Umarmen gewiß Druckstellen
verursacht hat. Große silberne Kugeln hingegen waren der zentrale Bestandteil der Studiodekoration. Zur Punktevergabe: Jedes Land darf 10 Punkte verteilen, und
zwar irgendwie, weil in jedem Land 10 Leute in der Jury sitzen (also halb
Luxemburg). Am Anfang merkt man schnell, dass es gegen Mary Hopkin und für Dana
läuft. Dann aber wählt Jugoslawien, das Irland verschmäht, aber vier Punkte an
GB gibt: 11:11. Dann Belgien, die Monaco eine Stimme geben, aber neun für Irland.
Leichte Aufruhr im Publikum. Übrigens tragen fast alle Männer im Publikum einen
Anzug mit Krawatte, die Frauen in Abendkleidern. Ich bin mir nicht sicher, ob
wir uns einen Gefallen getan haben, praktisch das ganze Leben zu
entformalisieren. Ein sehr hoher Anteil von Menschen sieht praktisch immer und
überall gleich aus. Und wenn man ehrlich ist: Männer in einem Anzug und Frauen
in einem Abendkleid sehen fast immer mindestens akzeptabel aus, - deshalb hat
man die Sachen doch erfunden! Während viele in der internationalen Uniform der
Formlosigkeit, nämlich Jeans und T-Shirt, ganz einfach scheiße aussehen. Es
nützt ja nichts, wenn die Schönen darin schön sind, denn die sind in allem
schön.
So sehen Sieger aus (Dana mit vier Kugeln) |
Bemerkenswert
dann die Engländer: sie geben der tollen Slowenin zum erstenmal Punkte, und das
gleich vier Stück, aber auch Irland 4. GB schafft es einfach nicht, den
Vorsprung zu verringern. Nach Monaco wählt Deutschland als elftes Land: es
steht jetzt Irland 32 zu GB 23. Wenn jetzt Irland 2 Punkte nicht nach GB
vergibt, hat Dana es geschafft. Komischerweise kapieren sie es im Publikum gar
nicht, als sie 3 Punkte nach Frankreich geben. Irland gewinnt 32 zu 26.
Dana
Zahnlücke hat gewonnen! Sie darf das Lied gleich nochmal, jetzt etwas lockerer
und gelassener, dann Abspann, und vorbei nach gerade mal 1h 14 Minuten. Toll!
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In
unserer Hitparade sind aus Amsterdam eingetroffen: natürlich Katja Ebstein, natürlich
Dana, und dann noch die unglückliche Mary Hopkin.
Rakete der
Woche: All Kinds Of Everything von Dana
Veteran der
Woche: noch immer Mademoiselle Ninette
auf der 2 mit 8 Wochen.
Liebling der
Woche: achja, dann ist es eben Dana.