Gleich zweimal
ist die Band Shocking Blue
vertreten, auf Platz 20 (NEU) mit MightyJoe und auf Platz 11 mit Venus. Shocking
Blue ist Protagonist des sogenannten „Nederpop“. Ja, das gibt es wirklich und
ist sozusagen der holländische „Deutschrock“, nur eben Pop statt Rock, weil die
Holländer etwas flockiger sind als der ernste Rockdeutsche. Nederpop sind z.B. Earth
& Fire, George Baker Selection, Luv, Ekseption, Teach-In, Pussycat usw. Und
tatsächlich gibt es etwas Verbindendes, etwas Gemeinsames, denn beim Holländer
ist ein gewisser Unernst dabei, der ihren europäischen Nachbarn fehlt. Dieser
holländische Unernst mag auch in der wesentlich tieferen und durchgreifenderen
Wirkung der Endsechziger zu tun haben. Ich war einige Jahre später oft in
Holland und darüber schon als Kind etwas erstaunt. Holland sah einfach anders
aus. In Holland standen David-Hamilton-Fotos als Deko in den Parfümerien. Die
Jugendlichen trugen Clogs, die Jungs hatten Bärte, die Mädchen Tücher im Haar
und über die Schulter eine selber zusammengenähte Tasche. Vielleicht fällt es
mit dem calvinistischen Erbe leichter, modern zu werden. Und auf der Straße hörte
es sich so an, als würden alle Holländer englischsprachige Popmusik hören. Da
passte es gut, dass die Holländer sogar einen echten Piratensender hatten:
Radio Veronica, der von einem ausgedienten Feuerschiff vor der Küste sein
Programm ausstrahlte, aber dazu ganz normale Werbeeinnahmen hatte. Die wilde,
ungebundene Piratenzeit von Radio Veronica dauerte von 1959 bis 1974, und
lustig: es gibt einen Archiv-Stream, der die Musik und Reklame bis heute durchsendet:
(das ist Radio Veronica 192, nicht
verwechseln mit dem normalen Radio Veronica, das zu einem ganz normalen
Formatradio hinabgesunken ist). Dieser Internet-Stream ist so eine Art
Zombieversion des originalen Radiosenders, und es werden sogar Werbejingles
längst verrauchter Amsterdamer Geschäfte dazwischengespielt. Jedenfalls hatten
die Holländer zur Volksbildung Radio Veronica mit Shocking Blue, wir hatten
WDR2 mit Zwischen Rhein und Weser auf (ich höre nebenbei Veronica-Reklame. Die Margarine
blueband ist noch mehr smakelijk als früher!).
Veronica von Radio Veronica (Quelle: ad.nl) |
Und das wirkte
auf die Jugend zurück. Während bei uns mindestens 50% der Jungs eines Jahrgangs
ohne Modifikation ihres Aussehens in einem Wehrmachtsfilm hätten mitspielen können,
waren alle jungen Holländer ausnahmslos langhaarig. Westdeutschland 1970 war
ein Land der 50jährigen. Nederlande 1970 war ein Land der Zwanzigjährigen. Die
holländische Ausgabe der Shocking-Blue-Single zeigt übrigens die Venus von Milo
– mit Brüsten, das ging für BRD nicht, also dann entschied man sich für einen merkwürdigen
Skulpturkompromiss. Shocking Blue jedenfalls befinden sich gerade im Januar 1970
auf dem Weg nach oben. Eigentlich sind sie drei (erfolglose) Musiker, die sich
mit einer (erfolglosen) Sängerin zusammentaten. Über diese Mariska Veters
notiert der Musikexpress etwas später: „Eine aufregende Stimme, einen Vater,
der ein Zigeunerorchester leitet. Auch sie war in Rock-Kellern erfahren.“ Nun
ja. Einige Jahre später haben Shocking Blue sich aufgelöst und verschwinden aus unserer
Geschichte.
Züchtige Venus (Quelle: discogs) |
Auf Platz 19
finden wir Heya von Jeronimo, das ich ohne weiteres auch in
die Nederpop-Tüte gesteckt hätte, aber Jeronimo sind aus Frankfurt. Die Band
macht scheußlichen Hardrock irgendwo zwischen Deep Purple und Uriah Heep, aber
vor allem hat sie zwei Sünden auf ihr Haupt geladen: Heya in dieser Woche, und später
haben sie dann noch Na na Hey Hey Goodbye gecovert, beides in jeweils
abgewandelten Texten bis heute Stadion-Schunkel-Lieder. Sehr unsympathisch,
sehr schrecklich, sehr schlimm. Dabei ist Heya auch schon eine Coverversion,
nämlich des gleichlautenden Liedes von J.J. Light, welches (so viel begründeter
Prophetie sei in diesem Blog erlaubt) ebenfalls sehr bald die Hitparade entern
wird. Die Originalversion ist nicht mal groß anders, wobei sich mir nicht
erschließt, warum es überhaupt diese Heya-Version von Jeronimo braucht. J.J. Light ist
allerdings Navajo-Indianer und kein Hesse, und außerdem der Komponist des
Stückes, was ihn meiner Meinung nach damit zu würdigeren Heya-Rechten verhilft.
Das erinnert mich daran, wie viele Jahre später einmal „Über sieben Brücken
mußt du gehn“ von Karat in die Hitparade war und von Peter Maffay zeitgleich gecovert
wurde, und zwar unter dem Titel „Über sieben Brücken mußt du gehn“. Der einzige
Unterschied ist die Peter-Maffay-Haftigkeit der Peter-Maffay-Version und ein
scheußliches Saxophonsolo (so etwas hatten sie in der Zone nicht).
Auf bald!
Rakete der
Woche: Mademoiselle Ninette ( plus 11 Plätze)
Blei der Woche:
Venus (minus 8 Plätze)
Veteran der
Woche: Mendocino (12 Wochen)
Liebling der
Woche: Come Together