Dienstag, 15. Dezember 2020

Nr. 24 vom 15.12.1970 oder Härter wird es nicht

 



So, endlich geschafft. Beethoven ist besiegt. Lustigerweise haben es gerade beide Hardrock-Zwillinge Paranoid und Black Night, den ewigen Miguel endlich, endlich von der Sonnenseite der Charts zu vertreiben. Und es ist auch nicht ganz unsympathisch, dass es Black Sabbath ist. Hier die Playlist.

Mit diesen Bands beginnt ein Genre, das wir heute zusammenfassend Heavy Metal nennen. Das hat es aber 1970 noch gar nicht gegeben, sondern das war alles umstandslos Hard Rock. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: entweder ist Heavy Metal etwas anderes als Hard Rock, oder es heißt einfach anders. 

Black Sabbath hat heutzutage eine deutlich bessere Presse als Deep Purple. Das liegt nicht nur an den „Osbournes“, sondern einfach daran, dass sich die Musik besser gehalten hat. Hört euch mal das Stück an, das so heißt wie das Album wie die Gruppe, von der ersten LP, hier. 

Das ist gut, nicht? Düster, aber auch wieder irgendwie witzig, Spaßgrusel wie Tanz der Vampire, oder heutzutage: Haunting Of Hill House, lustig aber doch auch ein bißchen unheimlich. Das Selbstironische haben Black Sabbath immer sehr gut hinbekommen (Deep Purple eher nicht). Die erste LP (die mit Paranoid ist die zweite) ist ganz hervorragend. Als 14jähriger hockte ich auf dem Sofa meines Freundes Christoph, wir hörten uns das an und fanden es super. Oder nicht „super“, ich weiß gar nicht mehr, was wir damals gesagt haben, aber „knorke“ „geil“ „fabelhaft“ sagten wir nicht. Zu dieser Zeit waren die Sachen von Sabbath, wie wir Checkersie nannten, ungefähr 10 Jahre alt. Ende der Siebziger der waren Sachen Ende der Sechziger „die alten Sachen“. Ist das heute auch noch so? Sind Adele und Amy Winehouse auch eine „alte Sachen“ Damals war Janis Joplin ungefähr zeitlich gleich weit weg und eindeutig eine alte Sache. Sie war allerdings da auch schon längst tot. Aber seltsam, Amy Winehouse (ja ok, sie war eine Handvoll Jahre früher) ist schon eindeutig eine alte Sache, Adele keinesfalls. 

Aber zurück zum schwarzen Sabbat. Die ersten vier Platten gelten als die vier Evangelien von Black Sabbath, und danach wird es etwas unübersichtlich. Bei Deep Purple (oder Purple, wie wir Checker sie nannten)  sind die Umbesetzungen eine eigene Wissenschaft, aber unstrittig ist, dass diese sog. MK.II-Band die eindeutig beste Besetzung ist.

 

Rowohlt rororo rocks


Wir greifen zu einer Standardquelle, die uns noch öfter nützlich sein wird, nämlich das Rock-Lexikon von Schmidt-Joos/Graves in der Ausgabe von 1977, in dem alles mal genau erklärt wird im Anhang:

„Hard Rock: Die Fortentwicklung des alten Rock’n’Roll ohne Mischung mit anderen Musizierarten und Show-Firlefanz. Prototyp: The Who.“

„Heavy Rock: hochgradig verstärkte Rockmusik, bei der die Lautstärke essentiell für den Gruppensound geworden ist. Beispiele: Mountain, Led Zeppelin, Grand Funk Railroad, Bloodrock“

Wie gesagt, da gab es noch keinen Heavy Metal, oder wie man heutzutage simpel sagt: Metal. Als wir damals mit dem Musikhören anfingen, gab es Bands, die Hard Rock spielten und Hard Rock Bands. Who, Led Zeppelin spielten Hard Rock, waren aber keine Hard Rock Bands. Das waren Deep Purple, Black Sabbath, Nazareth, Uriah Heep, lustigerweise auch Status Quo. 

Das war allerdings alles noch nicht „hochgradig verstärkte Rockmusik“, sondern aus heutiger Sicht alles irgendwie noch nett und stubenrein. Mein Erlebnis mit wirklich „hochgradig verstärkter Rockmusik“ hatte ich im Sommer 1981. Ich hatte mir aufgrund einer hymnischen Besprechung im MUSIKEXPRESS die Platte No Sleep Til Hammersmith von Motörhead gekauft. 

Ich hatte vorher noch nie ein Stück von Motörhead gehört. Das war auch kein Wunder, denn Motörhead wurde nicht im Radio gehört. Nicht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gespielt. Fragt nicht nach Youtube, junges Volk. Es gibt eine Geschichte vom ersten Besuch von James Cook auf Tahiti. Seine Bark, die 40 m lange Endeavour ankerte in einer Bucht, und angeblich war es so, dass einige Eingeborene sie nicht sehen konnten. Wohlgemerkt, es war nicht so, dass sie ein fantastisch-unfassbar-großes-Schiff sahen, sondern sie sahen überhaupt nichts, so unverständlich war der Anblick diesen riesigen Teils. 

So ging es mir mit Motorhead. Das erste Lied dieser Platte geht so

Ich hingegen hörte überhaupt nichts, weil es schlichtweg über mein Fassungsvermögen ging. Das war kein Hardrock, kein Heavy Metal, sondern ein großes, riesiges Metallschiff, das ich einfach nicht hören konnte. Übrigens ist die gesamte Platte so. Auch lustig: in England schaffte sie es auf Anhieb auf Platz 1 der Charts. In Deutschland nicht. Später einmal wußte ich: das ist das Böse, das absolut Böse, das will ich nicht.

Es geht aber immer noch schlimmer und ärger. Aber Ihr könnt das Endeavour-Tahiti-Erlebnis auch gerne selbst einmal nachvollziehen. Kürzlich wurde ich im MUSIKEXPRESS (haha) auf Venom Prison aufmerksam. Die walisische Band um Larissa Stupar spielt – sagen wir mal – aufgeweckte, erfrischede Popmusik, der man ihren walisisch-folkloristischen Ausdruck nicht unmittelbar anhört, jedenfalls nicht sofort. Hier der Link zu eurem Tahitischiff.


Gebt zu: Ihr habt – überhaupt nichts gehört, gar nichts null nada, weil Venom Prison einfach über euren und meinen Musikverstand geht. 

Wir waren aber bei den Urgroßvätern von Venom Prison. Black Sabbath. Die Geschichte geht ungerecht und gleichzeitig gerecht weiter. Paranoid blieb ihre einzige Hitsingle, während Deep Purple bis 1973 sechs Singles in den Top 20 platzierte (wir werden sie also wiedersehen). 

Aber dann gibt es stilistischen Nachleben. Und da dreht sich die Sache um. Deep Purple hatte stets den sehr wichtigen Band-Co-Chef Jon Lord an der Hammond Orgel und meistens Sänger, die sich gerne in den oberen Registern aufhielten (allen voran Ian Gillan). Black Sabbath hingegen ersparte sich die Keyboards und hatte mit Ozzy Osbourne stimmlich eher eine Fürsten den Finsternis als den galanten Rosenkavalier (hier ist Paranoid sogar eher untypisch). Ab 1970 war Hard Rock/Heavy Metal sozusagen noch etwas unentschlossen. Es gibt sogar Fusionen, etwa die Metallhymne The Number Of The Beast mit dunkel geraunzten Strophe (Sabbat) und hervorgekeiften Refrain (Purple).

Diese Bariton-Sopran-Dualität (wie ich das mal nenne) hielt sich bis zu den Wiedergängern von Deep Purple in den Neunzigern, Guns’n’Roses (womit wir uns sowohl die Purple- als auch die Roses-Fans zu Feinden machen), seid doch mal einer der 1.490.940.141 Leute, die das Video von November Rain angeguckt haben.

Das ist nun aber eindeutig die Sopran-Schule, um es einmal nett und höfliche auszudrücken. Allerdings - wie schon Schmidt-Joos es schön formulierten, war das alles "Show-Firlefanz". Gewonnen hat schließlich die Sabbath-Schule, mit den düsteren Bässen und Schlagzeugen sowie einem tief angelegten Gesang. Klingsor, nicht Kundry, wie wir Bildungsbüger sagen würden. Exemplarisch und sowieso auf dem Metallthron: Metallica, hier mit Sad but True, seltsamerweise aus demselben Jahr wir November Rain, aber deutlich besser gealtert.

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Anderes Thema. Neu auf der 16 ist In einer Bar in Mexico (Ei ei ei ei), ein fürchterlicher Schlager von Heino, der gesangstechnisch aber auch eher auf der Osbourne-Sabbath-Linie liegt als auf der Gillan-Purple-Linie. Das Lied ist im Kielwasser der Mexikobegeisterung der tollen WM 1970 zu sehen, wobei mir auffällt, dass es schon sehr viel Mexiko vorher gegeben hat, etwa durch die Leismann-Geschwister ab 1962 (da war die WM allerdings in Chile). Der absolute Mexikotophit des deutschen Schlager, das Stairway to Heaven der Mexikolisierung folgt allerdings erst zwei Jahre später (Hossa!). Zu Heino machen wir uns einen dicken Knoten ins Taschentuch, denn seine große Zeit wird kommen, versprochen, shalali! 

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Übrigens: zum Jahresende gibt es ein Goldene-20-Spezial, das natürlich sensationell wird. Laßt Euch überraschen. Es wird live gestellt um Silvester herum!


Rakete der Woche: Candida von Bata Illic, +8

Veteran der Woche: KEIN CONDOR MEHR, sondern Song of Joy Liebling der Woche: Paranoid von Black Sabbath, klar