Montag, 5. Oktober 2020

Nr. 19 vom 1.10.1970 oder Eine schwarze gestohlene Nacht

 


Und hier wieder die Youtube-Playlist für die Hitparade vom 1.10.1970. 

Fünf neue Lieder! Kein Wunder, dass das Hitparadenalter (Ihr erinnert Euch, vor zwei Wochen) jetzt wieder auf 3,75 Wochen gefallen ist. Zumal jetzt auch endlich „DU“ von Peter Maffay raus ist.

Bei den Neuvorschlägen müssen wir aber noch einmal Black Night nachtragen, mittlerweile auf der : 8. Und das war wirklich ein Epochenwandel. Deep Purple war in den Jahren zuvor eher durch stilistische Unentschlossenheit aufgefallen. Sie coverten Beatles-Lieder, machten Soul und gar das vom Keyboarder lancierte „Concerto for Group And Orchestra“. Alles irgendwie ok, aber auch zweite bis dritte Liga. Dann aber, gegen Ende 69, heuerte der Gitarrist Ritchie Blackmore den neuen Sänger Ian Gillan an und sie machten richtig, richtig lauten Rock.

 Sie spielten die berühmte Deep Purple In Rock ein. Die Platte ist auch mit heutigen Ohren bemerkenswert. Mit welcher Unverfrorenheit sie dann Gillans Geschrei, Blackmores Gitarrenriffs und Jon Lords klassische Orgel-Interludien zusammenlöten, als gäbe es keine Bosheit auf dieser Welt. Im Frühjahr spielten sie es dann den Plattenbossen vor. Die fanden es auch gut, aber fragten: „Und wo ist die Single?“ „Welche Single?“ „Die Single, die wir brauchen. Keine Single, keine LP.“ Die Gruppe mietete daraufhin ein Studio, spielte einen Nachmittag durch, mit null Ergebnis. Abends sind dann Roger Glover und Ritchie Blackmore in eine Kneipe, um sich frustriert zu betrinken. Schließlich klimperte Blackmore auf der Gitarre ein Riff. Glover meinte: „Hey, das ist wirklich gut. Blackmore entgegnete: „Das ist Summertime von Ricky Nelson.“ „Dann können wir es ja nicht nehmen.“ „Wieso nicht? Hast du es vorher gekannt.“ „Nein.“ „Na also.“ Es ist wirklich lustig, es sich anzuhören. GEKLAUT!

Schwarze Nacht (Quelle: discogs). Eigentlich ist Harvest ja ein reines LP-Label, aber hier mal eine Single


Wer aber jetzt glaubt, Deep Purple seien die ersten Diebe, möge sich das hier anhören.

AUCH NUR GEKLAUT!

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 Christian Anders wurde geboren als Antonio Augusto Schinzel-Tenicolo, und alles, was später geschah, hätte man sich vielleicht denken, hätte man das gewußt. Antonio! Augusto! Schinzel! Tenicolo! So heißen eigentlich nur österreichische Honorarkonsuln in karibischen Inselstaaten. Christian Anders hat einen youtube-Kanal, auf dem er verblüffend lange Videos einsteuert. Sein Channel bei Youtube belegt, dass Christian Anders möglicherweise etwas verwirrt ist.

Seine Weisheit schöpft Christian Anders aus dem „Buch des Lichts“, das er in Los Angeles von einer spirituellen Gestalt namens MAHA-CHOHAN diktiert bekommen hat. In der englischen Urschrift sind es sogar 4.000 Seiten in einer gigantischen Ausgabe, die der Meister öfter einmal vor sich aufgeschlagen läßt. Mit diesem Buch könnte Anders nicht nur ein Gänseblümchen pressen, sondern die Blüten der gesamten ukrainischen Kartoffelernte. . Eigentlich müßte es Bücher des Lichts heißen, denn es gibt mittlerweile 10 Bände für jeweils 29 €. „Gut so das man es aufgesplittet hat sonst wäre es wirklich teuer geworden“, schreibt ein amazon-User, ja, sonst hätte man sogar 290 € zahlen müssen, für das Buch des Lichts. 

In einem aktuellen Clip zieht er sich gerade Kronen und Brücken selbst (Schmerzüberwindung), das verlinke ich aber nicht, weil es echt eklig ist. „Meine Lieben, ich möchte den Uterus von Michelle Obama sehen“ beginnt er einen seiner Videos (mittlerweile gelöscht), weil ja ganz offensichtlich ist, dass sie ein Mann ist. Und so weiter und so weiter. Das Unangenehme am Doofsein von Christian Anders ist dabei, daß es nicht nur einfaches Vor-sich-hin-Doofsein ist, sondern aufgeladen mit Ressentiment und Abneigung gegenüber anderen vermeintlich Bösartigen und Minderwertigem. Dann wird Doofsein wirklich unangenehm, und genau da ist Christian Anders. Er ist ein typischer Fall derjenigen Leute, denen von Kindesbeinen an viel zu lang viel zu sehr zugehört wurde.

„Die erste Stufe des Freikackens ist der Tod des physischen Körpers“ möge Euch als repräsantiver Einblick in die andere Welt des Christian Anders dienen.

Aber wir schreiben ja das Jahr 1970. Christian Anders ist noch 50 Jahre vom – äh, Freikacken entfernt. Dieses Video ist ein Ausschnitt aus dem Film „Das haut den stärksten Zwilling um“ 

Falls euch das eventuell bekannt vorkommt: ja, wir hatten das schon einmal, und zwar in Folge 15, weil auch Miguel Rios mit Song Of Joy in diesem Film auftritt. Wie auch Christian Anders himself, Ilja Richter, Peggy March, Beppo Brem und Peter Weck. Auf Wikipedia gibt es eine mitleidige Besprechung dieses Durcheinanderfilms

Auf dailymotion kann man sich ihn angucken, aber das habe ich echt nicht geschafft. Mir übrigens nach wie vor rätselhaft, wie Ilja Richter als Jugendlicher durchging. Ilja Richter ist ein Erwachsener, der einen Erwachsenen spielt, der einen Jugendlichen spielt. Christian Anders hingegen lebt von seinem Chorknabengesicht , und irgendetwas sehr, sehr Unangenehmen, das sich jetzt – im Alter und im „Buch des Lichts“ – endgültig durchsetzt.

In 25:36 im Daily-Motion-Video tritt dann Miguel Rios in einer “Disko” auf. Unmotivierte Teenager versuchen zu Song Of Joy zu tanzen, was ein verzweifelter Kameramann surrealistisch einfängt. 

Fast hätte ich vergessen, dass es auch einigermaßen frisches Musikalisches von Christian Anders gibt, aus dem Jahre 2015, und zwar hier. Verblüffend ist, dass er musikalisch aber millimetergenau im Jahr 1970 verblieben ist. Lyrisch hingegen dürfte der Refrain „Du bist wie eine Symphonie von Rachmaninov, du bist wie ein Gedicht von Ovid“ wohl einzig in der Schlagergeschichte dastehen. Es gibt übrigens eine aktuelle Unplugged-Version davon. 

Laßt das alles mal auf Euch wirken. Buch des Lichts, Michelle Obama, Freikacken, Kronen ziehen, Zwilling, Song Of Joy, Rachmaninov.

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Wir schließen mit harmlosen Dingen. „Are You Ready“ von Pacific Gas & Electric ist eines dieser Lieder, das jeder kennt, aber niemand weiß von wem.

Hier eine prima Live-Aufnahme, und frappierend, wie gut sich das gehalten hat.

Prima Band. Sie nannten sich nach einem Energieversorger (man möge mal probieren, seine Band heute „Vattenfall“ zu nennen), aber tatsächlich wurde der juristische Druck später so groß, dass sie sich schließlich in PG&E umbenannten. Lustigerweise benannte sich Pacific Gas & Electric Versorger aber späger auch in PG&E um, aber da war die PG&E-Band schon längst vergessen. Mag sein, dass es eine Rolle gespielt hat, dass sich Pacific Gas & Electric sich mit einer gewissen Erin Brockovich anlegte. Allerdings wird PG&E Versorger bald auch verschwinden, denn er ist waldbrandbedingt Pleite gegangen und wird sich voraussichtlich „Golden State Power Light & Gas Co.“ nennen.


Rakete der Woche: Mama Told Me Not To Come von Three Dog Night +12

Veteran der Woche: El Condor Pasa und Ein Mädchen nach Maß

Liebling der Woche: Are You Ready von Vattenfall