Freitag, 16. Oktober 2020

Nr. 20 vom 15.10.1970 oder Wir singen von Liebe und Verlangen

 


So, wieder eine vorzügliche Hitparade, die sich die Deutschen im Oktober 1970 zusammengekauft haben, hier komplett auf youtube.

Heintje stellt auf Platz 15 völlig richtig fest: Es kann nicht immer nur die Sonne scheinen. Hier ein TV-Auftritt aus dem Jahr danach, der wirklich bemerkenswert ist.

Der youtube-Kanal wird übrigens von der Church of Addy Kleijngeld kuratiert, dem emsigen Manager von Heintje, der diverse holländische Entertainer zu ihrem bescheidenen holländischen Ruhm führte, und dazu den Superstar Heintje. Wie auch immer: Heintje wurde wohl von der Regie angewiesen, er solle im Publikum herumgehen und dann einzelnen Zuschauer sein Es-kann-nicht-immer-nur-die-Sonne-scheinen aggressiv ins Gesicht zu singen, was die Angesungenen allerdings nicht so super finden. Und man sieht: es ist nicht mehr der ganz kleine Heintje, sondern der eher mittelgroße Heintje hier unterwegs. Das hat etwas Unangenehmes, wie ein zu groß gewordendes Hundewelpen, das einen plötzlich anspringt.

Lange wird es nicht mehr dauern, dann kommt Heintje in den Stimmbruch und damit in die Krise. Man hätte das mit dem Stimmbruch ja verhindern können, aber so krass war Addi Kleijngeld dann auch nicht drauf. Zufällig habe ich gerade in der famosen Geschichte der Oper von Abbate/Parker heißt dazu gelesen:

“The precise nature of the operation that created a castrato was for long shrouded in secrecy, but the basic process was as simple as it was brutal. Boys with promising musical abilities were operated on before their voices changed, their testicles either removed surgically or bound so tightly that they withered away from lack of blood supply. The voice thus preserved would remain high (although sometimes dropping to an alto range), and moreover could be uncommonly sustained – notes could be held for a long time through a single breath. The hormonal effects of the operation caused significant physical changes. Castrati could become abnormally tall, with expanded rib cages (hence the long held notes), spider-like fingers and other strange characteristics. As one horrified Frenchman wrote in 1739:

Most of them grow big, and as fat as capons, their hips, rump, arms, throat and neck as round and chubby as a woman’s. When you meet them at a gathering, it is astonishing when they speak, to hear a little child’s voice emerging from such a colossus.” (Abbate/Parker, A History Of Opera, p. 70f.)“

Damit hätte er also ausgesehen wie Ivan Rebroff, aber gesungen wie der kleine Heintje. Tatsächlich hält er sich zunächst mit zwei LPs über Wasser, die er auf Afrikaans singt und mit der er sich eine treue südafrikanische Fangemeinde erarbeitet. Eine treue weiße südafrikanische Fangemeinde, muß man wohl ergänzen. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das so finden soll. Wir schreiben die schlimmste Zeit der Apartheid, und Nelson Mandela ist seit 10 Jahren im Gefängnis. Wobei ich einmal schätze, dass Heintje selbst das wohl nicht ganz überblicken konnte (Jahrgang 1955). Wie auch immer: er machte zwei Langspielplatten, die erste hier:

Heintje in Suidafrika

Die zweite Platte heißt „Heintje sing van liefde en verlange“. Ich kann weder Holländisch noch Afrikaans, aber ich würde es einmal übersetzen mit „Heintje singt von Liebe und Verlangen“. Übrigens sind beide Platten problemlos über amazon und spotify buchbar. Er hat ja recht. Es kann nicht immer nur die Sonne scheinen.

Apropos Ivan Rebroff. Heintje war zu jener Zeit nicht der einzige mit südafrikanischen Ambitionen. Auch Ivan Rebroff sang gerne auf Afrikaans, auch gerade zu Anfang der Siebziger (Sing Vir Ons, Vir Jou Suid-Afrika). Ich kann das deshalb unbesorgt erzählen, weil Ivan Rebroff tatsächlich kein einziges Mal, auch nicht mit Kalinka, unsere Top20 streifen wird und ich damit nichts vorwegnehme. Ein Afrikaans singender Russe mag einem komisch vorkommen, aber es ist ja noch viel schlimmer. Ivan Rebroff ist genau so viel Russe ist wie Heintje. Eigentlich ist der Ivan Rebroff in Berlin-Spandau geboren und heißt Hans Rolf Rippert. Aber jetzt kommts: Sein Bruder Horst war Jagdflieger und hat Antoine de Saint-Exupery abgeschossen, ja tatsächlich. Ivan Rebroffs Bruder killt den kleinen Prinzen. Das muß man sich jetzt einmal ganz langsam und in einzelnen Schritten vergegenwärtigen: der Bruder des Piloten aus Berlin-Spandau, der den Autor des kleinen Prinzen in Nordafrika abgeschossen hat, singt als falscher Russe für südafrikanische Faschisten Platten mit holländischen Volksliedern ein. Das ist wirklich steil.

Falsches Kyrillisch, Falscher Russe, Falsches Land

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Three Dog Night. Ja, ich hätte spontan geschrieben One Hit Wonder, aber das stimmt natürlich allein wegen Joy To The World nicht. Ich habe mal nachgeschaut: Die Band hatte ganz erstaunliche 18 Top 20 Hits in den USA. Und Mama Told Me Not To Come ist von Randy Newman eigentlich für Eric Burdon geschrieben, aber die 3DN-Version ist viel, viel besser. Schaut euch mal dieses Video an, wie schön 1970 das ist, besser geht 1970 gar nicht. Und gebt zu, es ist ein echter Ohrwurm! 

Da macht es auch nicht, dass ich die Band mit sieben Leuten leicht überbesetzt finde. Sie haben übrigens kaum ein einziges Lied selbst geschrieben, aber einen wirklich guten Geschmack, das hat sich wirklich erstaunlich gut gehalten. Die Geschichte über den merkwürdigen Namen geht so: eine Bekannte der Band hatte einen Artikel über Aborigines gelesen. Wenn es ihnen kalt wird, schlafen diese Aborigines zusammen mit einem Dingo in einer kleinen Erdhöhle. Wenn es so richtig kalt wird, dann schlafen sie mit zwei Hunden, und wenn es gar nachts an den Nullpunkt geht, dann ist es eine Three Dog Night. Tolle Geschichte!

In ihrem drittgrößten Hit Black And White (hier) haben sie dann auch mal klargestellt, wie sie so die Sache mit der Apartheid und Rassentrennung sehen, Herr Heintje und Herr Rebroff.

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Rakete der Woche: Du bist anders von Maffay und Arizona Man von Roos +10

Veteran der Woche: Ein Mädchen nach Maß und der elende Condor

Liebling der Woche: Mama sagte mir, nicht vorbeizukommen, ganz klar!